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Die Begriffe der Form und der Wirklichkeit einerseits, des Stoffes und der

erleidenden Möglichkeit andererseits entsprechen sich, sind aber nicht einerlei.

Die nicht einem Stoffe innewohnende Form hat bei Aristoteles keine Voll-

wirklichkeit (während die platonische Idee das

όντως όν

, das Wahrhaftseiende

ist); sondern ist nur als tätige Möglichkeit zu betrachten.

An einem Punkte geht das Lehrgebäude des Aristoteles allerdings noch über

den oben entwickelten Seinsbegriff hinaus, dort wo er Gott als absolute Tätigkeit

(άπλ ώςένέργεια,

actus purus) bestimmt. Jedoch fehlten in seinem System die

Mittel, um diesen gewaltigen Gedanken — wonach das höchste Sein nicht schlecht-

hin das in sich Beharrende, unterschiedslos Eine, nicht absolute Ruhe und Identi-

tät, sondern zugleich Tätigkeit, Energie (Actus) ist — auch in der gesamten

Ontologie durchzuführen.

/

Da im folgenden die Seinslehre des deutschen Idealismus nicht

planmäßig behandelt wird, während die eleatisch-heraklitische Lehre

in unserem Gesichtskreise verbleibt, müssen über jene hier einige

Bemerkungen genügen. — K a n t kam in seinem Begriffe der

transzendentalen Apperzeption, F i c h t e kam in seiner Setzungs-

lehre

1

, von anderen Voraussetzungen her als Aristoteles zu dem

Begriffe der reinen Tätigkeit als einem Setzen, oder einem, wie man

auch sagen könnte, quellhaften Sein. Das war ein Wurf von unge-

heurer Tragweite. Leider mußte es an einer Durchführung dieses

Seinsbegriffes zu einer planvollen Seinslehre um so mehr fehlen, als

der noch vorwiegend erkenntnistheoretische oder sittliche Stand-

punkt Kantens und Fichtes dem widerstrebte und Kant seine Meta-

physik nicht ausführte.

Der S e i n s b e g r i f f d e r I d e n t i t ä t s p h i l o s o p h i e

S c h e l l i n g s u n d d e r D i a l e k t i k H e g e l s ist dahin zu

bestimmen, daß das absolute Sein Einheit und Eines sei

2

; daß aber

hierbei nicht im Sinne der Eleaten als bei einer bestimmungslosen

„Eins“ (Identität) stehen zu bleiben sei

3

. Sie soll vielmehr als „Ein-

heit“ oder „ A u f h e b u n g “ d e r G e g e n s ä t z e , nämlich von

Subjekt und Objekt, von Geist und Natur, begriffen werden (ähn-

1

Siehe darüber oben S. 23, unten Viertes Buch, Geisteslehre.

2

Vgl. Schelling, z. B.: System der gesamten Philosophie (1804), Sämtliche

Werke, Abt. 1, Bd 6, Stuttgart 1859, S. 137 ff.

3

Schelling: Sämtliche Werke, Abt. 2, Bd 3, Stuttgart 1858, S. 57 ff. und

die Potenzenlehre der Weltalter. — Hegel: Enzyklopädie der philosophischen

Wissenschaften im Grundrisse, in 2. Auflage neu herausgegeben von Georg Las-

son, Leipzig 1903, §§ 79 ff. (= Philosophische Bibliothek, Bd 33).