Table of Contents Table of Contents
Previous Page  4339 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 4339 / 9133 Next Page
Page Background

[20/21]

27

es sind unendlich viele Strecken, darum wäre unendlich lange Zeit

nötig, um die Schildkröte einzuholen

1

. — Diese und ähnliche Ge-

dankengänge der Eleaten zielen alle darauf ab, den Widerspruch im

Werden, in der Bewegung, in der Vielheit nachzuweisen. Nur das

eine, sich selbst gleiche Sein kann gedacht werden, das Werden ist

unmöglich zu denken. Denn der Widerspruch ist unmöglich. Es ist

unmöglich, daß etwas zugleich A und Non-A sei, es kann nur eines

von beiden sein, entweder A oder Non-A / (Satz des Widerspru-

ches in der Logik). Ein anderer Ausdruck dafür ist der Satz der

Identität: A = A: Die Identität oder Einerleiheit mit sich selbst ist

das Grundmerkmal des Seins wie des Denkens. Veränderung, Wer-

den, Vielheit sind also Widerspruch, sind Trug.

Den gegenteiligen Standpunkt nehmen die Herakliteer ein. Alles

in der Welt ist Werden. Nur das Werden ist, es gibt kein sich selbst

gleiches Sein. Daher muß das Werden auch notwendig gedacht wer-

den. Alles fließt und nichts hat dauernden Bestand

2

. Niemand kann

zweimal in denselben Fluß hinabsteigen. „Wer in dieselben Fluten

hinabsteigt, dem strömt stets anderes Wasser zu.“

3

„In dieselben

Fluten steigen wir hinab und steigen nicht hinab; wir sind es und

sind es nicht.“

4

Das Werden muß auch als das Ursprüngliche ge-

dacht werden. Wenn es ursprünglich ist, kann es weder anfangen

noch enden, es kann auch nicht unterbrochen werden (pausieren). Es

ist stetig und ewig. — Im Werden aber, so kann man von Seite der

Logik her folgern, ist Gegensatz, ist Widerspruch. Was sich verän-

dert, ist sowohl A als Non-A. Ohne diesen Widerspruch gibt es

nichts, daher lautet der grundlegende Satz Heraklits: „Krieg ist aller

Dinge Vater, aller Dinge König.“

5

Wer um Aufhören des Streites

bittet, bittet um die Zerstörung der Welt; daher verdient Homer,

mit Ruten gestrichen zu werden

6

.

1

Aristoteles: Physik, griechisch und deutsch von Carl Prantl, Leipzig 1854,

VI, 1 und 2.

2

Platon: Kratylos, übersetzt von Otto Apelt, 2. Aufl., Leipzig 1922, 402 a

(= Philosophische Bibliothek, Bd 174).

3

Hermann Diels: Die Fragmente der Vorsokratiker, Berlin 1922, Fragment

12 und 91.

4

Hermann Diels: Die Fragmente der Vorsokratiker, Fragment 49a.

5

Fiermann Diels: Die Fragmente der Vorsokratiker, Fragment 53.

6

Hermann Diels: Die Fragmente der Vorsokratiker, Fragment 42; vgl. auch Hans Meyer:

Geschichte der alten Philosophie, München 1925, S. 25.