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zum T e i l e s c h o n v e r w i r k l i c h t ist, nämlich in der
jeweiligen sinnfällig-irdischen Welt. Diese jeweilige irdische Welt
enthält ja nicht zufällig die sinnfällige Wirklichkeit (= Form +
Materie, aristotelisch gesagt), sondern wesensgemäß. Diesem Wesen
muß auch der weitere Ausgliederungsgang treu bleiben. Es gehört
zum Begriffe der Welt, daß ihre Gesamtmöglichkeit jeweils „zum
Teile“, das will sagen, in einem bestimmten Stadium verwirklicht
ist (Ausgliederung) und daß die weitere Verwirklichung im An-
schluß an die schon erreichte geschieht ( U m g l i e d e r u n g ) .
T r ä t e d i e I d e e o h n e s c h o n v o r h e r A u s g e g l i e -
d e r t e s i n
d i e E r s c h e i n u n g , d a n n w ä r e d i e
g a n z h e i t l i c h e O r d n u n g v e r l a s s e n , d a s W e r d e n
w ä r e n i c h t m e h r U m g l i e d e r u n g , s o n d e r n o r d -
n u n g s l o s e s C h a o s
1
.
Daß alles abgeleitete Schaffen notwendig im Zusammenhange der
Umgliederung der Welt sich ereignet, diese Einsicht / öffnet uns
auch einen Zugang zu der allumfassenden und bezeichnenden Er-
scheinung: daß es zum geschöpflichen Schaffen der Mittel und Werk-
zeuge bedarf! Dies ist der Ausdruck der Sinnfälligkeit alles Geisti-
gen oder der Gezweiung höherer Ordnung. Das Schaffen aus Ge-
schaffenwerden ist im „Geschaffenwerden“ an sein Höheres als ein
bloß M ö g l i c h e s gewiesen (1); in der Gezweiung, die zu die-
sem „Schaffen aus Geschaffenwerden“ nötig ist, an ein W i r k -
l i c h e s (2), da der andere Gezweite jeweils schon wirklich sein
muß; in den Werkzeugen, deren das Schaffen bedarf, abermals an
ein W i r k l i c h e s (3). Letzteres stammt aus der Verbindung des
Geistes mit der Materie, ersteres, das Wirkliche der Gezweiung,
aus der Mit-Ausgliederung gleicher Ebene.
Ausdrücklich ist festzustellen, daß der Vorrang des Wirklichen im Gange der
Umgliederung nicht bloß die naturhaften körperlichen Dinge betrifft, wie es etwa
das Beispiel „Pflanze vor Samen“ nahelegen könnte. Es ist auch ausgebildeter
Gedanke vor auszubildendem Gedanken! Nicht bloß, daß das Denken ein kör
perliches Organ, Gehirn und Leib, verlangt (dies ist nur Vorbedingung); es
verlangt auch die jeweils schon fertigen Gedanken, die „logischen Voraussetzun-
gen“, die „Begriffsmittel“, auf deren Grundlage es erst sich darstellen, konkreti-
sieren kann. G e i s t v e r l a n g t G e i s t i g e s a l s M u t t e r s c h o ß , ähn-
1
Daraus ist auch die „Junggeborenheit“ alles Werdenden verständlich. Vgl.
mein Buch: Kategorienlehre, 2. Aufl., Jena 1939, S. 215 ff., besonders S. 223 f.;
Karl Faigl: Ganzheit und Zahl, Jena 1926, S. 82.