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1.

Sein ist die Quelle der Wesenheit, es kann daher nicht erst zur Wesenheit

hinzukommen. Wesenheiten, die als nicht wirkliche gedacht werden, sind keine.

Also muß die Verwirklichung zu ihrem Begriffe gehören.

2.

Dasein oder Verwirklichung ist aber ein Vorgang in der Zeit, daher kann

niemals die ganze Wesenheit zumal (zugleich) verwirklicht werden, es ist stets

nur ein Teil verwirklicht. Wer zum Beispiel die Geschichte der Menschheit be-

grifflich denkt, kann nicht verlangen, daß die Ereignisse / vor dem Auftreten

des Christentums nachher und die Ereignisse nachher vorher gekommen wären.

Und so mit allen Ganzheiten. Wer eine Ganzheit denkt, kann sie immer nur in

einem bestimmten Umgliederungsabschnitte verwirklicht denken. Aber es gehört

zum Wesen, daß es sich verwirklicht. Da die Verwirklichung in geordneter

Folge geschieht, können nicht alle Wesenheiten in ihrer Fülle und zumal ver-

wirklicht sein. Auch muß der Verwirklichung jene Schwankungsbreite (Variations-

breite) zugestanden werden, die im Begriffe selbst liegt.

3.

Richtig ist an der Aristotelischen Scheidung von Wesen und Dasein die

zugrunde liegende von Möglichkeit und Wirklichkeit. Aber die Unterscheidung

von Möglichkeit und Wirklichkeit ist nicht einerlei mit jener von Wesen und

Dasein. Ferner darf man sich nicht der ungenauen Redeweise bedienen: daß

„ d e r A k t z u r P o t e n z h i n z u k o m m e “ (die Wirklichkeit zur Mög-

lichkeit hinzukomme). Spricht man so, dann gelangt man zu dem Fehlschlusse,

daß auch zur Wesenheit die Wirklichkeit h i n z u komme. Der Möglichkeit

kommt die Wirklichkeit (der Potenz der Akt) nicht angeflogen, sondern zu jedem

Möglichen gehört begriffsgemäß seine Verwirklichung. Eine andere Möglichkeit

als eine sich verwirklichende (eine andere Potenz als eine sich aktuierende) gibt

es nicht. Erst was sich verwirklicht, war möglich; geschieht das nicht, so war es

ein leeres Hirngespinst.

4.

Der Unterschied, der zurückbleibt und an die Stelle des Hinzukommens

eines Seins zum Wesen tritt, ist: der Unterschied zwischen dem Vorsein und dem

Dasein. D i e s i s t a b e r d e r U n t e r s c h i e d v o n z w e i S e i n s a r -

t e n u n d n i c h t v o n S a c h g e h a l t u n d D a s e i n . Zum „Vorsein“

gehört, daß es mit dem zweiten Sein verbunden sei, daß es sich im Dasein aus-

gliedert. Denn das Ganze wird in den Gliedern geboren.

B. F o l g e r u n g a u f d e n o n t o l o g i s c h e n G o t t e s -

b e w e i s u n d a u f s e i n e E r w e i t e r u n g

Der Gedanke des ontologischen Gottesbeweises besteht nun darin,

aus dem Begriffe Gottes als des allervollkommensten Wesens auch

auf sein Dasein zu schließen. Denn dem vollkommensten Wesen

kann Dasein nicht abgehen

1

. Was beim ontologischen Gottesbeweis

Schwierigkeiten macht, ist die / falsche Annahme, der Begriff sei

etwas von der Wirklichkeit Loslösbares. Wir zeigten, in welchem

Sinne das nicht der Fall ist.

Uns steht dieser Gedanke schon grundsätzlich fest, nun ist er noch

1

Vgl. Näheres darüber unten S. 119 ff. und 156 ff.