[329/330]
299
des zu Schauenden vollzieht. — Als z w e i t e S t u f e erscheint das Wissen
(Denken) und Gestalten. Wissen und Gestalten (Kunst) sowie ihre Ableitungen
zeigen sich abermals nicht als bloße „Vorstellung“, sondern als eine eigene Art
des Weitergebens des Geschauten, als eine eigene Stufe des Schaffens. Daher
gehören hierher ebenso das künstlerische Ausführen wie das wissenschaftliche. — Als
d r i t t e S t u f e erscheint endlich Wollen und Handeln: In ihnen wird / das
„Gewußte“ weitergegeben, aber nicht in seiner bloßen Eigenschaft als Gewußtes
(als dessen Grundlagen auch die innere Sinnlichkeit und die äußere Sinnener-
fahrung nunmehr erscheinen), sondern auf G r u n d e i g e n e r O r d n u n g
(„Wertung“ usw.), seinem Seinsgehalte nach. Das Gewußte erscheint nun als
„Gut“ (bonum). Was im Schauen und Wissen angesammelt wurde, bricht in
Wollen und Wirken in n e u e r W e i s e aus
1
.
Unser Geist ist aber nicht nur eine Stufenfolge eigenen Schaffens
oder Ausgliederns, er ist auch eine Stufenfolge von Schauungen, von
Geschaffenwerden, das heißt eine S t u f e n f o l g e v o n R ü c k -
v e r b i n d u n g e n , — Auch die Rückverbundenheit ist etwas
im Geiste, was nicht rational, was nicht Denken ist, sondern wovon
das Denken überhöht und in die Mitte genommen wird. Daß der
Geist als Ganzes, mit allen seinen Stufen in einem Höheren rückver-
bunden ist, und zuletzt in Gott, das ist der letzte Wesensgrund des
Glaubens
2
. „Glaube“ ist der Ausdruck der allgemeinsten, der tief-
sten Rückverbundenheit, die jede andere einschließt. Darum ist es
kein leerer Wahn, wenn die christlichen Schriftsteller der Vorzeit
den Glauben als das Licht bezeichneten, das selbst dem Denken vor-
leuchtet. Darüber mögen unsere flachen Empiristen und Aufklärer
aller Art und Farbe lächeln, es bleibt doch ewig wahr. Allerdings
muß man sich darüber klar sein, daß das Licht des Glaubens am
Wissen und Handeln erst auf leuchtet, denn wie jedes Licht, so wird
auch dieses erst an Gegenständen leuchtend. In diesem Sinne gibt
es keinen Gegensatz von Wissen und Glauben, sondern Glaube kann
am Wissen erst gebildet, erst gestaltet werden. Die allgemeine Rück-
verbundenheit aller Stufen muß erst an jeder besonderen Stufe zur
Abhebung kommen.
Als nächste Stufe ergibt sich die Rückverbundenheit des Wissens
im Schauen. Nur jenes Wissen, das die Zerlegung und Verarbeitung
eines Geschauten ist, hat sicheren Grund. Im Schauen wird der Gott-
heit ein Funke ihres heiligen Feuers entrissen. Nur das G e -
1
Weiteres darüber in meinem Buch: Gesellschaftsphilosophie, München und
Berlin 1928.
2
Siehe oben S. 205 f.