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ist, bestände seine wesenhafte Tätigkeit nur darin, die Einheit aller
Vorstellungen herzustellen, das heißt zu d e n k e n . Liegt nun das
Wesentliche des Geistes in Vorstellung, Wissen, Denken, dann ist
diese Auffassung Rationalismus.
Gerade dagegen aber muß unsere Geisteslehre sich wenden. Gewiß
ist das Selbstbewußtsein und das Denken der hellste Punkt im Geiste
und es ist uns heilig als dasjenige, worin wir unser selbst am meisten
mächtig sind, worin wir unsere Freiheit ganz vornehmlich betäti-
gen. Denn das Denken erhebt den Geist über seinen Gegenstand und
verleiht ihm damit eine beherrschende Stellung, eine wahrhaft
königliche Höhe. Aber leer und eitel wäre der Geist, hätte er bloß
Denken des Gegenstandes zu seinem Inhalte und müßte er sich mit
seiner eigenen einsamen Höhe begnügen.
Die Fichte-Hegelische Bestimmung des Geistes als Sich-Selbst-
Unterscheiden vom Gegenstande und damit zugleich als Sich-selbst-
Denken ist unvollständig. In dem Begriffe der Ganzheit liegen noch
andere Bestimmungsstücke als die bloße Setzung. Wird die Setzung
als eine Setzung in der Ausgliederung verstanden, so liegt in ihr
auch beschlossen: das ebenbildliche Eigenleben, das in der Weiter-
gabe des Geschaffenseins / beschlossen liegt und die Rückverbunden-
heit des Ausgegliederten im Ausgliedernden. Mit beiden ist aber
gesagt: daß in der Setzung nicht nur die Selbstunterscheidung oder
das Denken des Gesetzten enthalten ist, sondern daß dieser ganze
Vorgang etwas Schöpferisches sowohl in sich hat wie vor sich hat.
Im G e i s t e i s t n i c h t r e i n e H e l l i g k e i t d e s D e n -
k e n s , w i e R a t i o n a l i s t e n u n d A u f k l ä r e r b e -
h a u p t e n . I m G e i s t e i s t e i n u n a u f l ö s l i c h e r G r u n d
e n t h a l t e n , d a s e w i g I r r a t i o n a l e , d a s d e r N a c h t -
s e i t e d e s D e n k e n s e n t q u i l l t . Diese Nachtseite ist das
Geschaffenwerden, welches der Geist im Schauen erfährt. — Aber
selbst das Weitergeben des Geschaffenen im eigenen Schaffen und
Schauen des Geistes ist nicht in dem Subjekt : Objekt-Verhältnis er-
schöpft! Im „ W i s s e n “ u n d „ D e n k e n “ l i e g t n i c h t
n u r e i n D e n k e n d e s G e g e n s t a n d e s , s o n d e r n i n
i h m s i n d a u c h d i e b e i d e n i r r a t i o n a l e n B e -
s t a n d t e i l e d e r G e z w e i u n g u n d d e r R ü c k v e r -
b u n d e n h e i t e n t h a l t e n . Weder Gezweiung noch Rückver-
bundenheit sind selbst „Vorstellen“ (wie das Wissen und Denken),