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s c h a u t e h a t W a h r h e i t , d a s b l o ß / A u s g e d a c h t e
i s t g e b r e c h l i c h . Dies ist eine Grundeinsicht aller Geistes-
lehre wie aller Logik, die uns durch den Begriff der Rückverbunden-
heit vermittelt wird. Denn das zerlegende Wissen kann nur Wahr-
heit zutage fördern, wenn das, was zerlegt wird, der Wirklichkeit,
der geistigen Wirklichkeit entstammt. Was die sinnliche Erfahrung
für die sinnliche Wirklichkeit, das ist das Schauen für die geistige
Wirklichkeit. Noch nie ist eine erste Wahrheit ohne Intuition ge-
funden worden. Die schlußfolgernde Wahrheit ist nur abgeleitet.
Beruhen die Vordersätze dieser Ableitungen nicht auf Schauen, dann
sind sie willkürlich ausgedacht. Der Mangel an intuitiver Kraft ist
es überall, der auch den redlichen Gelehrten und Schriftsteller zu
einem Denker zweiten und dritten Ranges macht. Wie Glaube die
Voraussetzung (das Prius) des Geistes im Ganzen, so ist Schauen, wir
können auch sagen ist E v i d e n z o d e r Ü b e r z e u g u n g s -
k r a f t (Ingenium) die Voraussetzung des Wissens und Denkens.
Wie Glaube das Zeugnis der Rückverbundenheit des ganzen Gei-
stes, so ist Erlebtheit oder Einleuchtungskraft das Zeugnis der Rück-
verbundenheit des Wissens. Nur im Schauen kann darum das Wis-
sen begründet werden. — Entsprechendes gilt sinngemäß für die
K u n s t , ferner für W o l l e n u n d H a n d e l n . Nur das-
jenige Wollen und Handeln, das in echtem Wissen, wie in echter
Kunst, in echter (das heißt erlebter, im Gemüte rückverbundener,
nicht gemachter) Leidenschaft und in echter (erlebter, nicht vorge-
täuschter oder krankhafter) Sinneserfahrung rückverbunden ist,
ist ausgebärendes, ist schöpferisches, gestaltendes, ist tiefgründiges
Handeln. Allein das rückverbundene Handeln kann nicht nur das
rechtschaffene und richtige, sondern auch das sittlich gute, das hei-
lige, das begeisterte Wirken und Wollen sein. Die R ü c k
V e r -
b u n d e n h e i t d e s W o l l e n s u n d H a n d e l n s w i r d
s u b j e k t i v d u r c h B e g e i s t e r u n g , o b j e k t i v d u r c h
s e i n e S i t t l i c h k e i t b e z e u g t
1
. In den / Vorrangsät-
zen drückt sich dann die Rückverbundenheit genau aus.
Noch bleibt einer dritten, allen konkreten Stufen des Geistes
gemeinsamen Rückverbundenheit zu gedenken. Es ist nicht die
Rückverbundenheit in der höheren Stufe, sondern jene, die inner-
1
Vgl. oben S. 258 und 276 f.