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der neueren Zeit wird / daher bis auf unsere Tage das Bewußt-

sein als Vorstellen in irgendeinem Sinne bestimmt: als „Vorstellen

des Gegenstandes" als (intentionale) „Beziehung auf ein Objekt“

(Franz Brentano), als „Sich-in-sich-selbst-Unterscheiden vom Ge-

genstande" (Hermann Ulrici), als „Beleuchten des Gegenstandes“

(Fichte der Jüngere) oder wie immer man diesen Gedanken zu wen-

den vermag. — Die sensualistische Deutung des Bewußtseinslebens

ist in unserer ganzheitlichen Auffassung zuerst insofern abgewehrt,

als wir nicht nur die äußere Sinnlichkeit gelten lassen (zu der man

die innere zählen mag oder nicht), sondern auch noch eine Sinnlich-

keit höherer Ordnung erkannt wird, welche im Schauen die vorzüg-

lichste Quelle des Geistes bildet. Die äußere Sinnlichkeit erscheint

jetzt weder als die Haupterscheinung des Geistes noch als Conditio

sine qua non in einem anderen als genetischen Sinne.

Trotz dieser entschiedensten Ablehnung des Sensualismus wird

man unserer Geisteslehre wahrlich weder Spiritualismus noch Solip-

sismus vorwerfen können. Wir h a b e n i m G e g e n t e i l e

d i e E r f a h r u n g s g r u n d 1 a g e d e s G e i s t e s

g e g e n -

ü b e r d e m S e n s u a l i s m u s w e s e n t l i c h v e r b r e i -

t e r t . Denn diese Grundlage stammt nicht allein aus der ä u ß e -

r e n Erfahrung, es gibt auch eine Sinnlichkeit höherer Ordnung,

aus der die höheren Schichten des Geisteslebens gespeist werden.

Trotz dieser herabgesetzten Rolle der äußeren Sinnlichkeit erscheint

sie uns doch mit Recht als die g e n e t i s c h wirksamste, das heißt

als a u s l ö s e n d e S t u f e des Bewußtseins, die zwar zeitlich

früher, aber wesenhaft später und niedriger ist als die innerste und

höchste Stufe des Geistes, das Schauen.

Für die Systematik einer Psychologie folgt, nebenbei gesagt, aus dieser Auf-

fassung, daß sie nicht mit der Lehre von der Sinnesempfindung und Vorstellung

beginnen dürfe, sondern mit den innersten und höchsten Bildungsstufen des

Geistes. Hiefür waren in der Psychologie des deutschen Idealismus auch die rich-

tigsten und bedeutsamsten Anfänge insofern vor- / handen, als sie die Erschei-

nungen des Traumes und der Ekstasen in den Mittelpunkt ihrer systematischen

Darstellung stellte

1

. — Endlich haben wir der sensualistischen Auffassung noch

die allgemeine Bemerkung entgegenzuhalten, daß s i c h d e r G e i s t i n

s e i n e m t i e f e r e n W e s e n ü b e r a l l a l s e i n e T a t h a n d l u n g v o n

i n n e n n a c h a u ß e n e r w e i s t , nämlich als ausgliedernde, selbstsetzende,

spontane, nicht aber als ein Aufnehmen von außen (nicht rezeptiv). Man darf

1

Vgl. die Bemerkung über das Vorbewußte oben S. 208 ff.