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Materie ist aber ein ebenso unannehmbarer wie zuletzt unvollzieh-

barer Begriff.

4.

Die Atomistik führt alles auf Bewegung zurück, nämlich auf

Bewegung kleinster Teilchen im Raume. Eine echte Naturerklärung

muß aber sowohl den Stoff, der sich bewegt, wie die Bewegung

selbst aus einem Vorgeordneten, einem Höheren, nämlich dem Ge-

samtzusammenhange der Natur verständlich machen. Es ist eine

Elementarforderung an den Verstand, daß man die Teile aus dem

Ganzen heraus erkläre, das Ganze umgekehrt aus den Teilen her-

aus; die Welt aus schon gegebenen / und schon bewegten Stoff-

teilchen heraus zu erklären, heißt die Welt als Zufall ansehen

1

.

5.

Die Annahme letzter Bausteine heißt, eine Unzahl urselbstän-

diger Substanzen annehmen; und heißt damit: die Einheit der

räumlichen Gesamtsubstanz oder Materie leugnen, die Einheit des

Wesensgrundes der stofflichen Welt leugnen.

6.

Für die inneren Schwierigkeiten im physikalischen Denken selbst — Unfähig-

keit zur Erklärung der Nichtumkehrbarkeit des Naturgeschehens (trotz Boltz-

manns statistischem Verfahren); was geschieht, wenn absolut unelastische Atome

Zusammenstoßen?; was geschieht, wenn „Planetensysteme“ Zusammenstoßen?; wie

soll auf winzigstem Raume das Kreisen der Elektronen mit etwa 1/100 Lichtge-

schwindigkeit denkbar sein?; wie kann die unstetige Auffassung der Materie mit

dem Infinitesimalgedanken, der die herrschende Darstellungsform der mathe-

matischen Physik ist und sich auf Stetigkeit gründet, vereinigt werden? und ande-

res mehr — verweise ich auf die angeführte Schrift von E r w i n L o h r

2

.

Wer diese grundsätzlichen Einwände bedenkt, muß erkennen und

uns darin beistimmen, daß die atomistische Auffassung der Natur

ein tiefer Fall menschlichen Denkens ist — wie denn auch kein

einziger großer Philosoph Atomist war. Einem Philosophen, der

Atomist ist, fehlt es sowohl an der lebendigen Naturauffassung wie

an durchdringendem Verstande. Er verwandelt die Natur in ein

Leichenfeld und bemerkt nicht die Widersprüche des Denkens, in

die er sich durch den Atombegriff verwickelt. Darum waren auch

die allergrößten Physiker keine Atomisten

3

. Daß sich die Atom-

1

Vgl. oben S. 37 f. und mein Buch: Kategorienlehre, 2. Aufl., Jena 1939, S. 70 ff.

2

Erwin Lohr: Atomismus und Kontinuitätstheorie in der neuzeitlichen Phy-

sik, Leipzig 1926, S. 21, 24, 25 (Atom als punktförmiges Kraftzentrum), 49 ff.,

58 ff., 70 ff. und 73 ff.

3

Vgl. Erwin Lohr: Atomismus und Kontinuitätstheorie in der neuzeitlichen

Physik, Leipzig 1926, zum Beispiel seine Ausführungen über Faraday, S. 26