314
[347/348]
Platon, nur sind bei ihm die Formen nicht immanente Wesen-
heiten, sondern jenseitige, allgemeine Ideen.
Die platonisch-aristotelische Lehre von der Materie wäre (von
ihren ontologischen Mängeln einmal abgesehen
1
), zur theoretischen
Grundlegung der Physik grundsätzlich ausreichend. Sie leistet, wie
im neuscholastischen Schrifttum mit Recht hervorgehoben wurde
2
,
methodologisch mindestens dasselbe wie die / Atomlehre, ohne
doch das Denken mit deren Widersprüchen zu belasten und die Na-
tur in ein Leichenfeld zu verwandeln. In jener Gestalt jedoch, wie
diese Lehre bis jetzt vorliegt, ist sie k e i n e r e i n e V e r -
f a h r e n l e h r e d e r P h y s i k , sondern ganz und gar mit der
aristotelischen
Metaphysik
verbunden.
Diese
Naturerklärung
konnte daher ohne die aristotelische Metaphysik nicht angenommen
werden. Das war (neben dem aristotelischen Zweckbegriffe, von
dem aber hier nicht zu reden ist
3
) das größte Hindernis für ihr
Eindringen in die praktische Verfahrenlehre der Physik.
D. Die K o n t i n u i t ä t s p h y s i k
Die Kontinuitätsphysik, die in ihrer modernen Form von Ernst
Mach (1838—1916) vorbereitet, von seinem Schüler Gustav Jau-
mann
4
ausgebildet wurde und derzeit von dessen einzigem Schü-
ler Erwin Lohr vertreten wird
5
, geht vom „Raumkontinuum“
als der ersten Gegebenheit der Physik und Chemie aus. Im Raum-
kontinuum sind die physikalischen und chemischen Erscheinungen
1
Siehe darüber oben S.
IIO
ff. und 171 ff.
2
Vgl. Joseph Kleutgen: Die Philosophie der Vorzeit, Bd 2, 2. Aufl., Inns-
bruck 1878, S. 297 ff.; Joseph Geyser: Allgemeine Philosophie des Seins und der
Natur, Münster
i.
W. 1915, Kapitel 9 und 15
;
Eugen Rolfes: Die Philosophie des
Aristoteles als Naturerklärung und Weltanschauung, Leipzig 1923, Abschnitt 2;
Matthias Schneid: Die scholastische Lehre von Materie und Form und ihre Har-
monie mit den Tatsachen der Naturwissenschaft, 3. Aufl., Paderborn 1880.
3
Vgl. meine Kategorienlehre, 2. Aufl., Jena 1939, S. 21 f.
4
Professor der Physik an der deutschen technischen Hochschule in Brünn,
1934-
5
[Gegenwärtig] Professor der Physik an der deutschen technischen Hoch-
schule in Brünn. — Vgl. seine wiederholt angeführte Schrift: Atomismus und
Kontinuitätstheorie in der neuzeitlichen Physik, Leipzig 1926, besonders S. 58 ff.
und 66 ff.