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C.
Die a r i s t o t e l i s c h - s c h o l a s t i s c h e A u f f a s s u n g
Bei Platon, Aristoteles, den Neuplatonikern und den Scholasti-
kern findet sich jene Auffassung des Stoffes,
ϋλη),
materia, die man
grundsätzlich als das bloße Erleiden des Erfülltwerdens mit der
Form, als bloße Möglichkeit der Aufnahme von Formen bezeichnen
kann
1
.
Aristoteles entwickelte die Lehre von dem zweifachen Sein, dem Sein der
Möglichkeit nach
(
δυνάμει
)
und der Wirklichkeit nach
(
ένεργείμ
)
. Diesem Lehr-
stücke zufolge besteht nichts aus reiner Wirklichkeit, sondern jede Wirklichkeit
der sinnfälligen Welt ist noch mit Möglichkeit gemischt. Das was aber jeweils
wirklich wird, ist die Form
(
μορφή, είδος
,
forma), dasjenige, was sich als Wesens-
gehalt eines Dinges (das
τό τί ήν είναι
) herausbildet und herausstellt. — Ver-
folgt man diesen Begriff der Möglichkeit gegenüber der den Wesensgehalt ge-
benden „Form“ weiter, so kommt man zuletzt zu dem Begriffe der reinen Mög-
lichkeit (als erleidender) und / eben diese ist nach Aristoteles die Materie
(ϋλη.
Sein Gedanke ist, daß im Wechsel der Formen etwas Beharrendes zugrunde lie-
gen müsse, das weder vergeht noch entsteht. „Holz“ verbrennt, das heißt, die
Form Holz vergeht und wird zur Form „Feuer“; diese vergeht und wird zur
Form „Asche“, „Wasser“ verdunstet, es wird zu „Luft“ usw. — Indem die For-
men wechseln und ihnen etwas Beharrendes, a n dem sie erscheinen, zugrunde
liegen muß (ein
ύποχείμενον
,
zugrunde Liegendes, ein Substrat), gelangen wir
zuletzt zu dem, was nichts anderes ist, als die Möglichkeit, alle Formen aufzu-
nehmen. Dieses Letzte selbst kommt daher niemals selber zum Vorschein. Es ist
ein ,
μή όν,
ein von sich aus Nichtseiendes. Die Materie ist daher nicht Sub-
stanz, sondern Möglichkeit aller Substanz, daher auch kein Akzidens, sondern
das von sich aus schlechthin Unbestimmte, unbestimmtes Substrat (bei Pla-
ton:
άπειρον
),
das erste Substrat, erste Subjekt (Unterlage
2
), der erste Stoff,
materia prima,
πρώτη
ϋ
λη
).
Die erste Materie hat keine Form, sie ist nur das
Formbare, wie Wachs vom Siegel geformt werden kann. Jedes Naturding ist
schon „zweite Materie“, das heißt stoffliches Ding (compositum,
σύνολον
)
das
bereits aus Form und erstem Stoffe gemischt ist.
Die Verschiedenheit der Naturwesen ist in der Aristotelischen
Naturphilosophie mit höchster Lebendigkeit erklärt. Sie folgt aus
der Verschiedenheit der Formenwelt, welche die wesengebende
Wirklichkeit (Energie) und zugleich der Zweck (die Vollendung,
Entelechie) der Dinge ist. Diese Naturauffassung begründete schon
1
Vgl. zur Ergänzung des Folgenden oben S. 167 ff. (Gezweiung höherer Ord-
nung), 110 ff. (Substanzbegriff) und unten Sechstes Buch, Ideenlehre. — Verwandt
Schelling und Hegel, siehe oben S. 170.
2
Aristoteles: Acht Bücher, Physik, griechisch und deutsch von Karl von Prantl,
Leipzig 1854, I, 9:
λέ
ωγ γάρ νλην τό πρώτον ύποχείμενον εχάοτφ, ές ού γίνεται τι
ένυπάρχοντος μή χατά ουμβεβηχός.