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Raumes vor der Zeit beitraten. Noch die heutigen S c h o l a s t i -
k e r behandeln den Raum vor der Zeit
1
.
Ähnlich S c h e l l i n g . Seiner Naturphilosophie zufolge schlug
das Absolute zuerst in Materie um, deren erstes Stadium der Raum
ist. Der Raum geht durch die Zeit, die also in ihm fundiert ist,
stufenweise einer Subjektivierung entgegen und wird zuletzt Geist
2
.
— Man erkennt hieran die naturwissen- / schaftliche Einstellung
des Zeitalters, der sich Schelling nicht ganz entziehen konnte. Er
wollte die Seins- und Welterklärung gewissermaßen nach dem
Schema der Kant-Laplaceschen Hypothese (sei es auch unbewußt)
durchführen.
Ähnlich wie Schelling auch H e g e l , der die Natur als „Außer-
sichsein“ des Geistes bestimmt und dabei zuerst an die Verräumli-
chung denkt, demgemäß auch in seiner „Enzyklopädie“ den Raum
vor der Zeit behandelt.
Hegel leitet in folgender Weise die Zeit vom Raume aus der „Immaterialität
des Punktes“ ab. „Die Negativität, die sich als Punkt auf den Raum bezieht...
i s t . . . in der Sphäre des Außersichsein [nämlich des Raumes] ebensowohl für
s i c h und . . . als gleichgültig gegen das ruhige Nebeneinander scheinend. So für
sich gesetzt, ist sie die Zeit. Die Zeit als die negative Einheit des Außersich-
sein .. .
3
“
1
Vgl. z. B. Albert Stöckl: Lehrbuch der Philosophie, Bd 2, 5. Aufl.,
Mainz 1881, S. 122 ff., der die Zeit bestimmt als „Series continua successionum“
— daß aber im Begriffe der „Succession“ die Zeit schon vorausgesetzt ist, wird
nicht bedacht. Diesen Fehler teilen die Scholastiker mit vielen anderen, z. B. mit
Leibniz. Leibniz bestimmte die Zeit als die „Ordnung des Nacheinander“ —
als ob im „Nacheinander“ nicht schon „Zeit“ eingeschlossen wäre! — Vgl. Leibniz:
Hauptschriften zur Grundlegung der Philosophie, übersetzt von Arthur Bu-
chenau, Bd 1, Leipzig 1904, S. 53 f. und öfter. — Der verdienstvolle Neu-
scholastiker Joseph Geyser: Allgemeine Philosophie des Seins und der
Natur, Münster i. W. 1915, S. 300 ff., will die Bewegung, wie vor ihm schon
der
Berliner
Aristoteliker
Friedrich
Adolph
Trendelenburg:
Logische
Untersuchungen, Bd 1, 3. Aufl., Leipzig 1870, Kapitel VI, als das sowohl
der Zeit wie dem Raume Vorgeordnete bezeichnen. „ . . . Zeit und Raum gehen .. .
aus der Bewegung hervor“, sagt Geyser (Allgemeine Philosophie des Seins,
S. 301). Beide glauben, sich auf Aristoteles berufen zu können. Doch kann ich
ihnen darin nicht beistimmen. — Jedenfalls gilt auch für Trendelenburg und
Geyser der obige Einwand des Hysteron-Proteron, wonach im Denken der
„Bewegung“ das Denken der Zeit schon v o r a u s g e s e t z t ist.
2
Vgl. Schelling: Darstellung des Naturprocesses (1843), Sämtliche Werke,
Abt. 1, Bd 10, Stuttgart 1861, S. 308 ff.
3
Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse,
in 2. Auflage neu herausgegeben von Georg Lasson, Leipzig 1905, § 257
(= Philosophische Bibliothek, Bd 33).