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wir eine organische Zeit nachgewiesen
1
. Der Begriff der Zeitstufe
oder Epoche weist auch auf den des Z e i t g e i s t e s hin. Denn
jede Zeitstufe ist auch eine arteigene Entfaltung des Gehaltes der
Ganzheit. Und überall, wo die eine Stufe von der anderen abgelöst
wird, entsteht die Erscheinung der Z e i t e n w e n d e oder Krise
mit ihren Störungsmerkmalen. Schon in der einfachen Umgliede-
rung ist „Krise“, sofern Umgliederung ja gerade darin besteht, Vor-
handenes zurückzunehmen und neu auszugliedern: Nur durch
innere Kämpfe hindurch entfaltet sich das Ganze. In der Zeiten-
wende, in der sich die inneren Entfaltungsstufen scheiden, erhöht
sich notwendig diese Schärfe. Das bestätigt die Geschichte. Daß die
Romantik emporwuchs, war schon in sich selbst eine Krise der
Aufklärung.
An dieser Stelle ist es vornehmlich, wo der Lehrbegriff der Zeit
in G e s c h i c h t s p h i l o s o p h i e u n d G e s e l l s c h a f t s -
p h i l o s o p h i e übergeht.
Ist die Zeit gegliedert, so ist sie auch nicht umkehrbar. Nur das
Homogene ist vertauschbar, nur wahrhaft homogene Zeit wäre
umkehrbar. In der Wirklichkeit ist der Zeitverlauf aber, wie jeder-
mann weiß, nicht umkehrbar. Die Nichtumkehrbarkeit der Zeit ist
für den mechanischen Zeitbegriff ein Paradoxon. Denn mechanisch
genommen ist das Hin gleich dem Her. Und dasselbe folgt, wie ge-
sagt, aus der sogenannten „Homogenität des Kontinuums“. Im
Bestimmungslosen, Homogenen, gibt es keine Richtung. Dagegen
folgt aus dem Begriffe der Gegliedertheit, daß man die Glieder nicht
beliebig verwechseln und verkehren kann.
Die Nichtumkehrbarkeit der Zeit folgt aber auch daraus, daß es
Umgliederung, nicht aber Aneinanderreihung ist, was / in ihr sich
vollzieht — „Umgliederung“ ist aber wieder in sich selbst (in der
Aufeinanderfolge) gegliedert, Umgliederung ist sinnvolle Entfal-
tung und darum nicht umkehrbar.
Die Nichtumkehrbarkeit der Zeit folgt weiter aus dem Gefüge
beziehungsweise der inneren Einheit ihrer Abschnitte, der soge-
nannten „Zeitdimensionen“
2
. Wir sahen früher, daß Vergangen-
heit und Zukunft in jeder Gegenwart auf bestimmte Weise ver-
1
Vgl. mein Buch: Kategorienlehre, 2. Aufl., Jena 1939, S. 214 und 222.
2
Siehe oben S. 346 f.