D r i t t e r A b s c h n i t t
Lehrbegriff des Raumes
Vermag der menschliche Geist das Wesen der Zeit in seiner Wur-
zel zu begreifen, indem sein bei sich selbst bleibendes Ich, während
es denkt und handelt, unberührt zugleich als das Beharrende und
Zeitlose in der Zeit besteht und zugleich sich selbst verzeitlicht, so
gelingt dasselbe beim Raume nicht. Dem Raume gegenüber steht
uns ein gleicher Weg nicht offen, es gelingt uns nirgends, die innere
Natur der Verräumlichung, die Tat des Sich-Ausdehnens in uns
selbst als eigenes Werk nachzubilden, wie schon die Geisteslehre
erkennen ließ. Während wir uns selbst unaufhörlich verzeitlichen,
finden wir nirgends eine Handlung in uns, in der wir uns verräum-
lichen. Jenem unmittelbaren Gefühle des Sich-Behauptens in inne-
rer Dasselbigkeit oder Zeitlosigkeit, als dem Wurzelgrunde der Zer-
streuung oder Zeitlichkeit, entspricht hier nicht eine gleiche innere
Erfahrung der Raumlosigkeit als dem Wurzelgrunde der Verräum-
lichung oder des Ausdehnens. Zwar erfahren wir deutlich an uns
selbst ein Raumloses mitten im Raume, nämlich unser Denken und
Bewußtsein, von dem wir doch nicht wissen, an welchem Orte es
sich befindet, das sich also als raumlos darstellt. Aber den Übergang
von solcher Raumlosigkeit zur Ausdehnung, eine innere Handlung
eigener Verräumlichung finden wir in uns nicht. Ferner ist es zwar
der Fall, daß wir eine Erkenntnis der Zusammengehörigkeit der
Raumteile in einem bestimmten Raume, zum Beispiel in einem
Kreise oder im Gravitationsfelde der Erde, in welchem die Steine
niederfallen, aufzubringen vermögen. Jedoch ist es uns auch / hier
nicht gegeben, den Übergang von einem raumlosen Wurzelpunkte
zur Räumlichkeit innerlich zu vollziehen. Der menschliche Geist ist
insofern in sich selbst zeithaft, als sich seine Lebensäußerungen in
Umgliederungen vollziehen; aber er ist in sich selbst nicht raum-
haft, da sich seine raumlose Geistigkeit nirgends in ihm selbst ver-
räumlicht.