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bloße Frage der Ideenlehre, sondern eine letzte Frage aller Meta-
physik und Seinslehre ist.
Die Hinfälligkeit des Individuellen und Sinnlichen hat aber wei-
tere Folgen. Wird das Individuelle durch Einführung einer wider-
strebenden Stofflichkeit erklärt — was bei allen Nachfolgern Platons
von Aristoteles über Plotin bis Thomas grundsätzlich aufrecht
bleibt, trotz der Annahme einer eigenen Idee für jedes Einzel-
ding —, so läßt sich auch die Folgerung nicht mehr vermeiden, die
diese sinnliche Welt für Schein und Schatten erklärt. Wenn auch alle
Genannten diese Folgerung ablehnen, so zeigt doch das oft ange-
führte Höhlenbeispiel Platons, wohin der Weg führt, wenn Sinn-
lichkeit und Individualität nichtig und nur der Ausdruck der Un-
vollkommenheit sind.
e.
Die Ideen als Begründer der Erkenntnis
Früher ergab sich wiederholt
1
, daß die Ideen nach Platon die
Dinge dadurch erkennbar machen, daß sie das Allgemeine enthalten.
Die Ideen (Gedankendinge,
νοητά)
sind durch Gedanken zu erken-
nen, die sinnlichen Dinge durch die Sinne
(αίσθητα).
Aristoteles
folgte dieser Auffassung und dadurch kam es, daß von nun an
die L o g i k
d u r c h a u s
a u f
A 1 1 g e m e i n b e g r i f f e
a u s g i n g, dagegen die Erkenntnis des Einzelnen, Unwiederhol-
baren, wie es die Geschichtswissenschaften brauchen, nicht in den
Bereich der / logischen Untersuchungen gezogen wurde. Diese
Frage mußte vielmehr erst neu gestellt werden, was wesentlich ein
Verdienst Windelbands und seiner Vorgänger ist. Näheres dar-
über führte ich in einer anderen Arbeit aus und verweise nun hier-
auf
2
.
In diesem Zusammenhange ist allein der Umstand wesentlich, daß
die Idee, wenn sie nur das Allgemeine in sich schließt, die Erkennt-
erklären sei, da die Platonische Lehre von dem Herabsinken der Seele in die
Leiblichkeit im Phaidros das Dasein der Körperwelt schon voraussetzt und der
Abfall demnach keine allgemeine kosmische Bedeutung hat.
1
Siehe oben S. 394 f., 402 f.,406 f. und öfter.
2
Vgl. meinen Beitrag zu der Festschrift für Georg von Below (Aus Politik
und Geschichte, Berlin 1928): Uber die Einheit von Theorie und Geschichte,
S. 320 ff. und das dort angeführte Schrifttum (jetzt in: Kämpfende Wissenschaft,
Jena 1934, S. 143 ff.).