14
[7/8]
aus dem Grunde, weil fast alle Schulen und Verfasser auf indivi-
dualistischem Standpunkte stehen — ohne sich dessen klar bewußt
zu sein!
/
Wie sehr in Wahrheit alle großen Fragen der Gesellschaftslehre,
Staatslehre, Rechtslehre, Volkswirtschaftslehre, Völkerkunde, Stati-
stik, Geschichte zuletzt von der individualistischen oder universali-
stischen Grundeinstellung der Untersuchung abhängig sind, zeigt
ein Blick auf die Entscheidungen, auf die s y s t e m t r a g e n d e n
B e g r i f f e jeder Gesellschaftswissenschaft. Auf die systemtragen-
den Begriffe kommt es allein an, nicht auf nachträgliche Milderun-
gen und Mischungen. Wenn z. B. in einer Staatslehre die Bildung
des Staatswillens, wenn die Bildung des Rechtes als Summierung des
Willens Einzelner aufgefaßt wird, dann wird der Staat individuali-
stisch erklärt; wenn der Vertrag als Übereinstimmung des Willens
der Einzelnen erscheint, wird er individualistisch erklärt (univer-
salistisch ist er die Eingliederung in ein gemeinsames Höheres);
überall ferner, wo das Recht als „heteronom“, die Moral als „auto-
nom“ (für den Einzelnen) erscheint, wird die Gesellschaft indivi-
dualistisch erklärt. Denn nun ist das autarke Individuum nur in
sich selbst moralisch bestimmt, die Gesellschaft bloß ein äußeres
Vertragsgebilde, das darum mit äußeren, mit „heteronomen“ Ge-
boten an den Einzelnen herantritt. Ebenso deutlich zeigt sich die
individualistische und universalistische Grundfassung in den Haupt-
fragen der Volkswirtschaftslehre: ob der „Verkehr“ der Einzelnen
(das Zusammentreffen der Wirtschafter auf dem Markte) als die
Grunderscheinung aller Wirtschaft angesehen wird, oder die Aus-
gliederung des Ganzen der Wirtschaft in den Gliederbau der Lei-
stungen; ob ferner „freier Wettbewerb“ oder „organisierte Wirt-
schaft“ als das der Wirtschaft Wesensgemäße betrachtet wird; ob
Freihandel oder Schutzzoll; ob Selbsthilfe des Individuums oder
Sozialpolitik; ob metallistische oder nichtmetallistische Gelderklä-
rung; ob Wert und Preis aus individueller Wertschätzung oder aus
dem Gliederbaue der Wirtschaft zu erklären sind und dem Wesen
der wirtschaftlichen Vorgänge entsprechen — alle diese und viele
andere Entscheidungen hängen durchaus von der individualistischen
oder universalistischen Einstellung der Untersuchung ab. Eben
ich auf meine Abhandlung: Ein Wort an meine Gegner auf dem Wiener Soziolo-
gentage, in: Kölner Vierteljahrshefte für Soziologie, Jg 6, Heft 4, München 1927.