16
[9/10]
die Gesellschaft nur aus Individuen bestehe, in deren Summe sie sich
erschöpft, ist der I n d i v i d u a l i s m u s ; die letztere, wonach
der Zusammenhang der Einzelnen im Gesellschaftsganzen oder ge-
nauer gesagt: die Ganzheit der Gesellschaft das Erstwesentliche sei,
diese Ganzheit auch den Grund der Gesellschaft bilde und hierauf
die gesamte soziale Erscheinungswelt beruhe, ist der U n i v e r -
s a 1 i s m u s. Dieser kann auch „organische Auffassung“, „Ganz-
heitslehre“ oder „Transpersonalismus“ genannt werden; die Be-
zeichnungen „Kollektivismus“, „Sozialismus“ hingegen sind mit einer
bestimmten Sonderbedeutung, der Gütergemeinschaft, verknüpft,
daher hier unbrauchbar.
II. Der Individualismus
Die individualistische Gesellschaftsauffassung geht von den ein-
zelnen Menschen als in sich selbst bestimmten Wesenheiten aus. Sie
sind ihr autarke Einzelne; die Handlungen zur Begründung der Ge-
sellschaft, des Staates, der Wirtschaft sind ihr demgemäß ebenfalls in
sich selbst autarke Einzelhandlungen. Die Gesellschaft ist dann eine
Vielheit, gleich einem Sandhaufen, eine Summierung Einzelner; der
Staat die Summe des Willens der Staatsbürger, die Kirche Summe
des Willens der Gläubigen, die Volkswirtschaft Summe des Willens
der Wirtschafter, genauer gesagt: sie ist das Zusammentreffen der
einzelnen, in sich selbst autark, nämlich durch Eigennutz bestimm-
ten Wirtschaftshandlungen, wodurch der Markt oder Verkehr (als
ebendieses Zusammentreffen gedacht) zum Grundschema der Wirt-
schaft wird.
/
Hier gilt überall: der E i n z e l n e w i r d a u s s i c h s e l b s t
e r k l ä r t ; er ist dem Wesen nach vor der Gesellschaft, der Bür-
ger vor dem Staate, der Gläubige vor der Kirche, der Einzelwirt-
schafter vor der Volkswirtschaft — der Teil vor dem Ganzen.
Diese Auffassung, die man auch atomistisch nennen kann, weil
nach ihr das Ganze die Summe atomhaft gedachter, das heißt je
für sich gefaßter Einzelner ist, verlangt von sich aus keine Voraus-
setzungen für die selbstbestimmten Einzelnen. Was in sich selbst
bestimmt ist, in sich selbst beruht, bedarf keiner seinsbegründenden
Macht in einem anderen Ich, keines gesellschaftlichen Überindivi-