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Gerechtigkeit oder des richtigen Lebens fordert eine vollkommene

Gemeinschaft und schafft sich daher als Abbild den Staat, der zu

verstehen ist als das Gesamtganze der Gemeinschaft. Sie gliedert

nun das Staatsleben derart aus, daß sich darinnen drei große Le-

benskreise, die Stände, ergeben. Nicht viele einzelne Menschen tun

irgend etwas, woraus sich der Staat ergäbe, sondern das ist vielmehr

der Gedanke Platons: Der Staat, als das Gesamtganze des Lebens,

zeigt eine bestimmte Wesensgliederung, die in bestimmten S t ä n -

d e n , die wir am besten als V e r r i c h t u n g s z w e i g e kenn-

zeichnen, ihren Ausdruck findet: die oberste Leitung, Krieg und

Verwaltung, Wirtschaft — das sind diese Verrichtungen; die Herr-

scher, Krieger (Beamten), Wirtschafter sind die Verrichtungsträger.

B. Die T u g e n d l e h r e

Bezeichnend für die Platonische Gesellschaftsphilosophie ist: daß

sie die Sittenlehre aus der Staatslehre begründet. Der wahre Staat

ist auch schon der Inbegriff des wahren, des sittlichen Lebens aller.

Die Staatslehre hat daher den Vorrang! Sittlichkeit, so kann man

behaupten, ist bei Platon nichts anderes als die Anteilnahme an den

durch die Idee begründeten Inhalten des objektiven Geistes. Platon

predigt nicht Moral, sondern zeigt den wirklichen Stoff der gegen-

ständlichen Sittlichkeit im Leben auf

1

. Auf diesem Wege folgten

ihm Aristoteles und später Hegel.

Ist nämlich der Staat in seinen Aufgabenkreisen und Leistungs-

zweigen schon vorgegeben, dann ergibt sich aus der Beschaffenheit

des Staates heraus die Notwendigkeit für die einzelnen Menschen,

an ihm „teilzu- / nehmen“. (Die Teilnahme oder

μέθεξις

ist ja über-

haupt ein grundlegender Begriff der Platonischen Ideenlehre.) Aus

Bau und Leben des Staates folgt daher für jeden einzelnen Stand die

arteigene, richtige Teilnahme am Staatsleben oder seine besondere

Standes-Tugend. Denn man kann sagen: daß die rechten Teilnahme-

weisen die Tugenden sind.

1

Ausführliche Nachweise sind hier nicht möglich. Hauptsächlich kommen in

Betracht: Staat, 427d bis 441, 501d, 504 f., 580d bis 582b (Platons Staats-

schriften, herausgegeben von Wilhelm Andreae, Teil 2, Bd 1, S. 290 bis 335,

508 bis 515 und 726 bis 731) und Gesetze, übersetzt und erläutert von Otto

Apelt (= Philosophische Bibliothek, Bd 159 und 160), Leipzig 1916.