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derung diejenigen Orden, die nicht rein geistlich waren, sondern in
die Welt einzugreifen hatten, besonders die Ritterorden.
„Die Ritterorden des Mittelalters“, sagt Willmann
1
, „zumal der staaten-
gründende Orden der Deutschherren in Preußen, hatten eine der platonischen
nicht so unähnliche Verfassung. Die das Ganze tragende ideale Substanz, das
höchste Lehrgut, ist hier die christliche Lehre, ihre Vertretung kommt den
Priestern zu, die insofern die Leitung des geistlichen Ordensstaates haben. Ihre
Ausbildung hält die nämliche Stufenfolge ein, wie die der platonischen Ge-
meindehäupter: der musischen Bildung entspricht die grammatische der Ordens-
oblaten, der mathematischen Mittelstufe das Quadrivium, der dialektischen Ober-
stufe das theologische Studium. Alles, was Gottesdienst und religiöses Leben
angeht, wird von der Zentralstelle aus, hier nicht Delphi, sondern Rom, von ,dem
ursprünglichen Wegweiser' bestimmt. Die
φύλακες
sind hier die Ritter, als
Ordensglieder ohne Familie und Privatbesitz; der musisch-gymnastischen Aus-
bildung jener ist die ritterliche Schulung vergleichbar; den Syssitien entsprechen
die Mahlzeiten im Refektorium. Dem dritten Stande bei Platon entsprechen die
Laien, durch die Religion mit den Herrschenden verknüpft, aber ohne Anteil an
der Leitung. Die leitenden Stände sind nicht erblich, Priester und Ritter erhalten
ihren Nachwuchs aus der Laienschaft, wobei die Anlagen entscheiden. Das
politische Interesse hat sein Gegengewicht an dem kontemplativen Zuge des
Ordens; so mancher Ritter kehrte nach lebenslanger, ihm von den Oberen zuge-
teilten Wirksamkeit in der Regierung einer Ballei oder Komthurei in die Zelle
des Klosters zurück, wie Platon ähnliche Vereinigung von Wirken und Schauen
als Ideal hinstellt.“
Die Geschichte beweist, der Platonische Staat sei keine Utopie,
sondern in gewissen Grundzügen sogar in verbildeten Staaten, in
der Tyrannis sowohl wie in der Demokratie, verwirklicht, wie ja
auch der kranke Körper nur von der Gesundheit, nicht von der
Krankheit lebt.
Zusatz über die altorientalische Gesellschaftslehre
In der Lehre Z a r a t h u s t r a s (ungefähr 1100 v. Chr.), in den
altindischen U p a n i s h a d e n (1. bis 2. Jahrtausend v. Chr.)
findet sich der gleiche Lehrbegriff der Gesellschaft und der Regie-
rung wie bei Platon; ferner auch bei den nicht-arischen alten Chi-
nesen, L a o t s e (6. Jahrhundert v. Chr.), K o n f u z i u s (J 479
v. Chr.) und ihren Schulen: Regieren ist ihnen das Weitergeben
übersinnlicher Werte, des Taos vom Himmel.
1
Otto Willmann: Geschichte des Idealismus, Bd 1, z. Aufl., Braunschweig
1907, S. 456 f. — Vgl. Platons Staatsschriften, herausgegeben von Wilhelm An-
dreae, Teil 2: Staat, Bd 2: Einleitung usw., S. 150 f.