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[XI/XII]

Gestalt. Wie es finden in der wechselnden Fülle geistigen Ge-

schehens? In der Geistesgeschichte ist alle Wahrheit von je vorhan-

den, aber sie wird gleichsam durch einen Wall von Licht gehütet;

er blendet das schwache und erleuchtet das starke, geübte Auge.

Der Weg, der diesen Wall durchdringt, die Erkenntnis, welche den

Hüter der Schwelle überwindet, ist im/Erlebnis des Wesentlichen

der Lehrgebäude zu finden. Der Z u s a m m e n h a n g d e r L e h r -

g e b ä u d e u n t e r e i n a n d e r muß erkannt, der höhere Sy-

stemgedanke, der sie alle gestaltet und verbindet, der ihr bilden-

der Grund ist, entdeckt werden: Das ist das Übergeschichtliche.

Der Geschichtschreiber geistiger Taten muß sich dessen bewußt

sein, daß er in den jeweiligen Lehrgebäuden nicht nur Wahrheit

mit Irrtum gemischt, sondern durch die überbauenden System-

zusammenhänge stets eine ganz bestimmte R i c h t u n g des Den-

kens vor sich hat, die niemals trügt; daß er darum stets zugleich

die Geschichte des lichten und des dunklen Denkens, die Geschichte

der dämonischen und der lebenspendenden Lehren, daß er die

V e r f a 11 s g e s c h i c h t e und die H e i 1 s g e s c h i c h t e

z u g l e i c h s c h r e i b t . Solcher hoher Aufgabe muß sich der

Geschichtschreiber des Geistes notgedrungen und mutig unterfan-

gen. Und solange mein Buch das leisten könnte, was von je der

tiefere Sinn, sogar die letzte Möglichkeit aller Geschichtschreibung

ist: das Gute in der Vergangenheit zu Hilfe zu rufen gegen das

Schlechte in der Gegenwart, möge es Anteil finden wie bisher und

weiter wirken als lebendige Macht.

I n d e r L a h n , i m Dezember 1929

Othmar Spann

bei Vordernberg in Steiermark

Vorwort zur sechzehnten Auflage

Als ich vor nunmehr über fünfzehn Jahren dieses Buch in Druck gab,

wagte ich nicht zu hoffen, daß sich die neuen Maßstäbe, die ich, damals

selbst noch zögernd, an das Lehrgut der Volkswirtschaftslehre anlegte,

so rasch allgemeine Geltung verschaffen würden. Denn von Adam

Müller wußte man zu jener Zeit wenig mehr als den Namen, wie die

damals herrschenden Handbücher von Philippovich, Schmoller, Adolph

Wagner, Conrad, Bücher, Böhm-Bawerk, Pesch beweisen, und auch ich

hatte die verschollenen „Elemente der Staatskunst“ nur zufällig im Jahre

1907 bei einem Antiquar erstanden. Ebenso war Thünen unbeachtet und

unverstanden, List nur von wenigen geschätzt, und das Vorhandensein

einer eigenen organisch gerichteten Volkswirtschaftslehre der Deutschen