10
[1/2]
Zur Einführung
Eine Wissenschaft, die in so viele Richtungen zerfällt wie die
Volkswirtschaftslehre, muß vor allem geschichtlich behandelt
werden.
Der Leser soll daher im folgenden mit den großen Lehrgebäuden
bekannt werden, um einen Überblick über ihre Grundfragen und
Lösungen zu gewinnen. Und zwar soll sich an die kurze Darstellung
der einzelnen Lehrgebäude eine prüfende Erörterung ihrer Haupt-
gedanken schließen. Dabei kommt der gegenwärtige Stand unserer
Wissenschaft von selbst zur Geltung. Auf diese Weise wird z. B.
dargestellt: beim Merkantilismus die Geld- und Handelsbilanzlehre,
bei den Physiokraten und Adam Müller die Produktivitäts- und
Güterlehre, bei List die Schutzzoll- und Freihandelslehre und so
fort. Diese kritisch-vergleichende Art ist aber auch der fruchtbare
Weg, Lehrgeschichte zu treiben, denn ohne Gewinnung eines eige-
nen Standpunktes ist alle Geschichtschreibung saft- und kraftlos.
Die Meinung, Standpunktlosigkeit sei auch ein Standpunkt, gleicht
dem Versuche, im luftleeren Raum zu atmen. Im Grunde ist sie
Relativismus. Allerdings müssen die Lehrgebäude unbefangen, das
heißt von sich selbst aus und nicht von einem einzelnen anderen
Gebäude aus, betrachtet werden; aber gerade darin, worauf der
große Zusammenhang der Lehrgebäude untereinander hinweist,
liegt die höhere geistesgeschichtliche Ordnung, darin liegt das höhere
System, und dort muß der Geschichtschreiber seinen Standpunkt
einnehmen.
Der Vorteil dieses Verfahrens, mit den Lehren der so überaus
abstrakten und doch wieder ganz konkreten, ganz im Leben wur-
zelnden Wissenschaft der Volkswirtschaftslehre bekannt zu machen,
ist zuerst der, daß jedes Lehrstück nicht starr und gebieterisch,
sondern inmitten seines Für und Wider vorgeführt wird, vor allem
aber in seinem g e n e t i s c h e n Zusammenhang erscheint. Dadurch
wird dem Anfänger die gewaltige geistige Arbeit veranschaulicht,
die hinter jenen Begriffen steckt, welche ihm beim s y s t e m a t i -
s c h e n Studium der heutigen Volkswirtschaftslehre scheinbar
fertig entgegentreten. Es wird dadurch auch greifbar auf die
großen philosophischen Zusammenhänge verwiesen, / ohne die nie-
mals eine Volkswirtschaftslehre entstand. Unser Verfahren hat zu-