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seit der Romantik wurde nirgends empfunden. Denn die Schmoller-Schule,
längst dem Positivismus verfallen, wußte von ihrer Abstammung aus der
Romantik und dem nachkantischen deutschen Idealismus nichts mehr.
Heute wird die grundlegende Rolle der Romantik mehr und mehr
anerkannt. Es kann schlechthin nicht geleugnet werden, daß sich von
Adam Müller bis zur neuen geschichtlichen Schule ein einziger roter
Faden hindurchzieht, daß die Namen Adam Müller, Fichte, Baader, /
Freiherr vom Stein, List, Thünen, Roscher, Hildebrand, Knies, Bernhardi,
Schmoller (ja selbst Carlyle, Ruskin, Carey) eine einzige große Abstam-
mungseinheit bezeichnen und daß sie eine Gedankenwelt verkörpern, die
als universalistisch-organische und als idealistische jener von Smith,
Ricardo, Say, Rau, Menger, Jevons als einer atomistisch-individualistischen
und materialistischen entgegengesetzt ist. Es ist aber damit auch der
Gegensatz von individualistischer und universalistischer Gesellschafts- und
Wirtschaftsauffassung, den ich in diesem Buche zum ersten Male aus-
sprach, wenigstens mittelbar zugegeben.
Auch die mittelalterliche Volkswirtschaftslehre mit dem gerechten
Preise als Hauptfrage rückt damit in ein neues Licht und erweist sich
als echt universalistische Lehre.
Neben solcher Anerkennung hat dieses Buch allerdings auch Gegner-
schaft gefunden. Man hat die Wiedererweckung der Romantik für über-
flüssig, ja für gefährlich erklärt, man hat sich über „Poetisierung der
Wissenschaft“ entrüstet. Soweit diese Gegnerschaft mein eigenes Lehr-
gebäude treffen will, habe ich unten
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dargelegt, daß sie an mir vorbei-
redet; soweit sie aber die Stellung der Romantik als Begründerin einer
organischen Volkswirtschaftslehre meint, ist immer wieder zu sagen, daß
die Romantik keine bloße Kunstschule, sondern kraft ihrer tiefen philo-
sophischen Grundlage eine Lebens- und Kulturbewegung war, die alle
Geisteswissenschaften ergriff und die, ganz besonders in den Staatswis-
senschaften, die erste Ablösung der europäischen Kultur von Renaissance
und Aufklärung bedeutete; die aber auch Wirklichkeitskraft genug besaß,
um die praktische Politik zweier Geschlechter mit zu bestimmen, ja die
als Mutter aller konservativen Parteien auch heute noch im praktischen
Leben weit mächtiger fortwirkt, als dies an der Oberfläche des Bewußt-
seins liegt. Im Grunde machen es alle jene Gegner wie Josef II., der,
wie man sich in Alt-Wien erzählte, nach der Aufführung der „Entführung
aus dem Serail“ zu Mozart sagte: „Lieber Mozart, Ihre Musik wäre ja
ganz schön, aber es sind so viele Noten darin.“ Alle Aufklärer, Rationa-
listen, Mechanisten, Individualisten hören die Urlaute des Lebens nicht,
sie hören nur den Schall, für sie kommen darum in der mittelalterlichen,
romantischen, universalistischen Gesellschafts- und Wirtschaftsauffassung
„so viele Noten“ vor, sie halten sich als verständige Leute nur an das
Äußere, Meßbare, Rechenbare der Teile. Indessen, wie damals Mozart
erwiderte: „ A b e r k e i n e z u v i e l ! “ , so wollen auch wir erwidern, daß
die Anknüpfung der Volkswirtschaftslehre an die großen Grundauffas-
sungen der Gesellschaft und des Lebens kein „Zuviel“ ist und, wie sie der
Wirklichkeitsnähe der Wissenschaft entspricht, auch der Strenge des Den-
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Siehe unten S. 225.