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ausschließlich oder in Verbindung miteinander als die induktive
Unterlage für die Gesellschaftswissenschaften angesehen wurden,
insbesondere für die allgemeine Gesellschaftslehre oder „ S o z i o -
1 o g i e“, wie Auguste Comte sie nannte.
Dadurch entstand die Meinung, daß es empirische Gesellschafts-
wissenschaften früher nicht gegeben habe; besonders bezeichnend
aber für den Dünkel aller dieser neuen Richtungen war die Mei-
nung: daß die „Soziologie“ erst durch Comte begründet worden sei,
der seinerseits selber allerdings Vorgänger habe, aber nicht etwa in
der Philosophie des deutschen Idealismus oder der Griechen, son-
dern in der Aufklärung
1
. Diese Meinung ist ein Irrtum, und sie zu
widerlegen sei noch die letzte Aufgabe unseres lehrgeschichtlichen
Bescheides.
Um die Entwicklungsgeschichte der gesellschaftlichen Einzelwis-
senschaften sowohl wie der allgemeinen Gesellschaftslehre, seit
Comte „Soziologie“ genannt, zu verstehen, muß man, wie unser bis-
heriger Einblick in die Lehrgeschichte ergab, zwischen der Gesell-
schaftsbetrachtung
der
idealistischen
und
der
empiristisch-
naturalistischen
Philosophien unterscheiden
2
.
Wir finden in ältester Zeit die idealistische Gesellschafts- und
Staatslehre bei Pythagoras, Platon, Aristoteles und ihren Schulen im
Altertum; wir finden sie bei A u g u s t i n u s (
430)
3
, den Scho-
lastikern im Mittelalter
4
, von denen A l b e r t u s M a g n u s
(
1280)
5
und Thomas von Aquino
6
besonders hervorzuheben
1
So z. B. Paul Barth: Die Philosophie der Geschichte als Soziologie, Teil 1, 3.
und 4. Aufl., Leipzig 1922 (gibt eine ausführliche Geschichte der Soziologie,
die mit Comte beginnt, im naturalistischen Sinne). — Dagegen: mein Aufsatz
Soziologie im Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 4. Aufl., Jena 1926;
Georg von Belows nachgelassene Schrift: Entstehung der Soziologie (= Deutsche
Beiträge zur Wirtschafts- und Gesellschaftslehre, herausgegeben von Othmar
Spann und Georg von Below, Bd 7), Jena 1928.
2
Das Folgende entnehmen wir zum Teil unseren Darlegungen in der Fest-
schrift für P. W. Schmidt, Naturalistische und idealistische Gesellschaftslehre,
Wien 1928, S. 954 bis 963.
3
Augustinus: Der Gottesstaat. Die staatswissenschaftlichen Teile, übersetzt,
mit teilweise lateinischem Begleittext versehen und behandelt von Carl Völker
( = Die Herdflamme, Bd 4), Jena 1923.
4
Siehe oben S. 38.
5
Wilhelm Arendt: Die Staats- und Gesellschaftslehre Alberts des Großen
(= Deutsche Beiträge zur Wirtschafts- und Gesellschaftslehre, herausgegeben
von Othmar Spann und Georg von Below, Bd 8), Jena 1929.
6
Siehe oben S. 38 f.