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die neuzeitlichen Erklärer am Individualismus und Subjektivismus,
von dem sie sich aber nicht zu befreien vermögen, groß geworden,
heute Platon, Aristoteles, Thomas individualistisch auslegen und
dabei Hegel nicht mit ihnen in Verbindung zu bringen wissen, so
ändert das doch nichts an der Wahrheit, daß sie beiden Teilen nicht
gerecht zu werden vermögen.
Allerdings kann bei Hegel manches der Prüfung nicht standhalten.
b.
Staatslehre
Hegel zeigte den Staat nicht als das erste aufbauende Element in
der Gezweiung (im Hergange der geistigen Erschaffung und geisti-
gen Ausbildung des Einzelnen) auf. Seine Begründung ist nicht
soziologisch, sondern ontologisch, kosmologisch. Er leitet alles aus
dem metaphysisch Uberindividuellen des absoluten Geistes, der
absoluten Vernunft, ab. Das wäre an sich selbst weniger ein Mangel,
war es jedoch gegenüber der hausbackenen Empirie, die nach Hegels
Tode überall einsetzte, die für metaphysische Gründe unempfindlich
war, aber für Beweise, welche aus der Zergliederung des Erfahrungs-
mäßigen gesellschaftlichen Herganges geschöpft sind (der Begriff der
Gezweiung ist ja ein analytischer), nicht unempfindlich hätte blei-
ben können.
c.
Das Überindividuelle. Dialektik
Daß Hegels Objektivismus mehr ein ontologisch-metaphysischer
als ein soziologischer sei (weil der Begriff der Gezweiung fehlt),
also gegenüber Fichte, Adam Müller und Baader einen Rückschritt
enthält, zeigte sich schon früher
1
. — Desgleichen, daß sein Begriff
der Durchdringung des Besonderen durch das Allgemeine, die wir
oben als „Teilnahme“ bezeichneten, ähnliche Mängel wie bei Platon
und Aristoteles aufweist
2
. — Auch die Mängel des dialektischen
Verfahrens ergaben sich (neben ihren Vorzügen) schon früher
3
.
d.
Wert des Einzelnen. Sittenlehre
Wie weit Wert und Würde des Einzelnen bei Hegel immer geret-
tet zu werden vermögen, bedarf noch besonderer Prüfung. Denn
1
Siehe oben S. 73.
2
Siehe oben S. 32, vergleiche dazu mein Buch: Der Schöpfungsgang des
Geistes (= Ergänzungsbände zur Sammlung Herdflamme, Bd 3), Jena 1928,
S. 426 ff. und 513 ff.
3
Siehe oben S. 69 f.