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bedeutet aber in seiner soziologischen Auswirkung: Übersubjekti-
vismus oder Universalismus.
Allerdings wird nun die Aufgabe, die Folgerungen aus der An-
nahme des metaphysischen Über-Dir zu ziehen, das metaphysische
Über-Dir in ein gesellschaftliches Über-Dir umzubilden und die
Entsprechung beider herzustellen, nicht von allen idealistischen
Lehrgebäuden gleichmäßig gelöst.
Begnügt sich die Philosophie, das Über-Dir lediglich als ein Meta-
physisches, das über dem Menschen waltet, darzustellen, ohne die
Umbildung in das gesellschaftliche Über-Dir planmäßig im Lehr-
begriffe zu begründen; dann reicht es zur philosophischen Durch-
dringung des gesellschaftlichen, sittlichen und insbesondere auch
des wirtschaftlichen Denkens nicht aus. Denn für Gesellschaft, Staat,
Recht, Sittlichkeit, Wirtschaft schwebt dann jenes Göttliche gleich-
sam unerreichbar in der Höhe. Wohl fühlt sich der Einzelne da-
durch zur Anerkennung des metaphysischen Über-Dir gedrungen —
aber nur er als Einzelner. Und gerade dadurch kann ein echter
Gemeinschaftsbegriff nicht aufkommen. Gott kann dann wohl dem
Einzelnen, aber nicht der Gemeinschaft nahe gefühlt werden. Das
Über-Dir ist in diesem Falle nicht durchgedrungen, es könnte dann
nur von allen Einzelnen je für sich erlangt werden und bliebe zu-
letzt Privatsache. Soll das Übersinnliche nicht ein leeres Abstraktum
bleiben, dann muß es im Lebensgange der Gemeinschaft, und durch
diese hindurch im Einzelnen lebendig, schöpferisch, mitwirkend,
mitdabeiseiend gedacht werden. Darum sehen wir denn auch alle
heidnischen Kulturen durch ihre Mythen vom Göttlichen durch-
drungen. Wir sehen ebenso in jedem philosophischen Lehrgebäude,
das mit dem Idealismus Ernst macht, Lehrstücke, die ein solches
schöpferisches Mitdabeisein verständlich machen wollen: die Plato-
nische Idee, die Aristotelische Form, der dialektische Setzungsschritt
wollen das leisten. In der scholastischen „Konkurslehre“ wird die
schöpferische Gegenwart Gottes im gesamten Weltlaufe, also auch
der Gemeinschaft, in der Lehre vom Corpus Christi mysticum wird
die schöpferische Gegenwart Gottes in der christlichen Gemeinschaft
gelehrt.
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Aber in unbestimmter Allgemeinheit genommen, genügen solche
Lehrbegriffe der metaphysischen Philosophien und der Religion
noch nicht. Sie müssen erst noch in den gesellschaftlichen Bereich