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umgemünzt, zu Ende gedacht, erst noch durchgeführt werden. Erst
dann wird aus dem metaphysischen Über-Dir ein gesellschaftliches;
wie denn auch im Begriff Corpus Christi mysticum allsogleich der
Begriff der religiösen Gemeinde liegt: Conjunctio hominis cum
deo est conjunctio hominum inter se. Bei Platon, Fichte, Schelling,
Hegel sahen wir ähnliche Versuche
1
. Und was hindert uns, jenen
Begriff auf das Ganze des menschlichen Gemeinwesens überhaupt
auszudehnen?
Auf diese Weise führt jeder durchdachte Begriff des Metaphysi-
schen zum Begriffe der Ganzheit der Gesellschaft und der Glied-
haftigkeit des Einzelnen. Da nie ein Einzelner mit dem Übersinn-
lichen verbunden gedacht werden kann, sondern notwendig v i e l e ,
zuletzt alle, so sind diese die G e g e n g l i e d e r des Einen; Glie-
der weisen aber auf G a n z h e i t — und mit diesem Begriffe ist
das gesellschaftliche Ober-Dir bereits begründet.
III.
Die Grundfragen der Gesellschaftsphilosophie
Das Absehen der Gesellschaftsphilosophie ist zuletzt auf die Er-
klärung und den Sinn des Lebens gerichtet. Allein die Antworten
auf diese Fragen lassen sich nicht unmittelbar geben. Im Gange der
wissenschaftlichen Betrachtung nehmen darum die Fragen vorerst
andere Formen an.
Aus unseren Überlegungen ergibt sich, daß sich die Grundfragen
aller Gesellschafts- oder Sozialphilosophie, soweit sie nicht empiri-
stisch, naturalistisch ist, durchaus um das Über-Dir drehen. Man
kann drei Grundfragen der Gesellschaftsphilosophie stellen:
1.
Wie wird das metaphysische Uber-Dir bestimmt?
2.
Wie wird das metaphysische Über-Dir zu einem gesellschaft-
lichen Über-Dir?
3.
Wie wird dadurch die zergliedernde Betrachtung der gesell-
schaftlichen Tatsachenwelt bestimmt? — in welchen systemtragen-
den Begriffen der Gesellschaftswissenschaften kommt das gesell-
schaftliche Uber-Dir zum Ausdrucke?
Die Antwort auf die erste Frage gibt jeweils die Metaphysik des
Siehe oben S. 29 ff.