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gestellt und von sich selbst heraus ein Höchstes wäre! In Wahrheit
ist jeder geschichtliche Staat durch überstaatliche Zusammenhänge,
Bündnisse, gebunden — das V ö l k e r r e c h t . Auch als Höchst-
stand ist der Staat nicht der einzige Stand, daher nicht „souverän“!
Ist der Staat Stand, dann ist damit auch die für jede gesunde
Gesellschaft nötige D e z e n t r a l i s a t i o n begründet. Eben
darum aber hat der Staat als Höchststand auch die Oberleitung
über die anderen Stände und endlich
4.
jene Aufgaben zu übernehmen, welche die anderen nicht lösen
— die stellvertretenden oder supplierenden Leistungen des Staates.
Ein Beispiel ist die neuere Sozialpolitik, welche eigentlich der Wirt-
schaft zufiele — von ihr in der liberalen Zeit aber nicht bewältigt
wurde.
Ist der Staat höchster Stand und liegt er als solcher im Bereiche
des veranstaltenden Handelns, so folgt daraus, daß für ihn dieselben
Vorranggesetze wie für das veranstaltende Handeln gelten, nämlich:
(12)
S t a a t i s t v o r d a r s t e l l e n d e m H a n d e l n . Denn
Staat reizt darstellendes Handeln, in Absicht des Geistes, der damit
entfaltet werden soll, hervor. Staat ist aber nur vor dem darstellen-
den Handeln, jedoch nicht vor dem Geistigen, welches durch dieses
entfaltet werden soll. Denn das Geistige selbst ist vor Staat, ist sein
Vorgeordnetes! — Ferner gilt:
/
(13)
S t a a t i s t v o r d e n V e r a n s t a l t u n g e n d e r
g e i s t i g e n T e i l i n h a l t e — weil er Höchststand ist, welcher
wieder die anderen Stände entweder geradezu organisiert oder regelt
und beeinflußt, der sie potenziell in sich befaßt; darum gelten im
besonderen die Sätze:
Staat ist vor Kirche; dagegen: Religion ist vor Staat.
Staat ist vor Schule und allen Wissenschaftsorganisationen
1
; da-
gegen: Wissenschaft ist vor Schule; Wissenschaft ist vor Staat; denn
alles Geistursprüngliche ist allem Handeln vorgeordnet
2
.
Staat ist vor Kunstorganisation (Theater, Konzert usw.); dagegen:
Kunst ist vor Staat
3
.
Staat ist vor Familie; dagegen: Ehe (die geistig-sinnliche Gemein-
schaft der Liebenden) ist vor Staat und vor Familie.
1
Darüber siehe auch unten S. 158.
2
Siehe Satz (6) und (11a).
3
Im Sinne von Satz (6) und (11 a).