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Ferner ergibt sich aus dem Früheren der Satz:
(14)
S t a a t i s t v o r W i r t s c h a f t — ein Sonderfall seiner
Eigenschaft als Höchststand
1
. — Dazu ergibt sich die Stufenleiter:
Wirtschaftsorganisation ist vor Wirtschaft; aber staatliche Orga-
nisation (Staat) ist vor Wirtschaftsorganisation.
Die Vorgeordnetheit vor allem anderen Handeln belehrt uns aufs
eindringlichste über die h o h e W ü r d e d e s S t a a t e s . Der
Staat ist nichts Äußerliches, kein bloßer Sicherheitsverein, keine
Wach- und Schließgesellschaft; sondern, ebenso wie das veranstal-
tende Handeln überhaupt, die hervorreizende Wirklichkeit des
alles Geistige und Empfindende in der Gesellschaft entfaltenden
Handelns sowie des ihm dienenden Handelns (der Wirtschaft). Da er
als höchster Stand dazu noch die Tätigkeit der übrigen Stände regelt,
also wieder d e r e n hervorreizendes Tun überhöht, so umfaßt er
die ganze Totalität des Lebens. Daher sagen wir noch einmal: Staat
ist nichts Äußeres, kein lästiger Kostgänger der Einzelnen (z. B. als
Steuer- und Zolleinnehmer); sondern die Einzelnen sind — sei es
als Staatsbürger, sei es als Wirtschafter, sei es mittelbar selbst als
Kirchenbürger, sei es als Handelnde in irgendeinem andern Sinne —
alle in unmittelbarer oder in vermittelter Weise die Glieder und
Kinder des Staates.
Zusatz über das Verhältnis von Kirche und Staat
Wenn oben der Satz ausgesprochen wurde: „Staat geht vor Kirche“, so kann
das doch niemals eine schlechthinnige Herrschaft des Staates über die Kirche
bedeuten. Die genaue Sachlage ist vielmehr folgende: Religion hat den Vorrang
vor der Kirche; Kirche ist die Veranstaltung des religiösen Lebens und in diesem
Sinne eine Sonderanstalt; Religion hat aber auch den Vorrang vor dem Staate!
Daraus folgt, daß der Staat zwar als höchste Anstalt über die Sonderanstalt
Kirche herrscht; daß er a b e r s e i n g e i s t i g e s P r i u s e b e n s o i n
d e r R e l i g i o n f i n d e t w i e d i e K i r c h e s e l b s t , und zwar: in der
von der K i r c h e v e r a n s t a l t e t e n u n d g e f o r m t e n R e l i g i o n ,
denn eine andere gibt es nicht.
Andererseits kann nicht widersprochen werden, wenn aus dem Vorrange des
Metaphysischen die T h e o k r a t i e gefolgert wird. Jedoch kann sie nach ihrem
Scheitern im Mittelalter für die abendländische Menschheit praktisch nicht mehr
in Frage kommen. In diesem Sinne besteht in jeder rechten Gesellschaftsordnung
trotz f o r m e l l e r Oberherrschaft des Staates eine geistige Oberherrschaft der
Religion durch die Kirche, gleichsam eine heimliche, mittelbare T h e o k r a t i e .
Siehe auch oben, Satz (9), S. 150.