268
[170/171]
ner Wirtschaftslehre durch, so äußert sich dieser Standpunkt zuerst
im Begriffe des Eigentums.
E i g e n t u m . Der Begriff eines reinen Privateigentums wird von Thomas
abgelehnt. Auf den Einwand aber, daß nach dem natürlichen Rechte des Chri-
stentums alles gemeinsamer Besitz wäre, das Eigentum daher ausgeschlossen sei,
entgegnet Thomas:
„Der Mensch hat ein doppeltes Recht an den äußeren Dingen: das eine von
ihnen ist die Befugnis, sie zu erwerben und zu verwalten; wenn es darauf
beschränkt ist, ist es erlaubt, daß sie der Mensch als Eigentum besitzt. Das ist
zum menschlichen Leben aus / drei Gründen notwendig: erstens weil jeder viel
mehr für das, was ihm allein gehört, Sorge trägt, als für das was allen... ge-
meinsam i s t . . . Zweitens aber, weil sich die menschlichen Angelegenheiten viel
ordentlicher abwickeln lassen, wenn dem einzelnen die Sorge für bestimmte Dinge
als für sein Eigentum überlassen wird und es eine große Verwirrung geben
würde, wenn jeder wahllos was ihm gerade unterkommt, besorgen würde. Drit-
tens, weil dadurch die menschlichen Beziehungen mehr in Frieden gehalten wer-
den können, wenn jeder mit seinem Eigentum zufrieden i s t . . . “
„Das zweite Recht der Menschen an den äußeren Dingen ist ihr Gebrauch.
In dieser Hinsicht darf sie der Mensch nicht als sein persönliches Eigentum,
sondern er muß sie als allen gemeinsam ansehen, so daß er sie leicht mit der
Not der anderen teilt
1
.“
Es ist der Begriff des Lehenseigentums, der hier entwickelt wird, die Vor-
stellung, daß es kein reines Privateigentum gibt, sondern über allem ein Ober-
Eigentum stehe (die Lehenshierarchie!) ist echt mittelalterlich. Der M e n s c h
s o l l b e s i t z e n , a l s b e s ä ß e e r n i c h t . Er soll alles nur verwalten um
Gottes willen, im Dienste des Ganzen.
Dieselbe philosophische Einstellung zeigen die thomistischen Be-
griffe der Wirtschaft, der Gerechtigkeit und der Einkommensver-
teilung.
W i r t s c h a f t a l s M i t t e l f ü r Z i e l e . Obgleich Thomas diese aus-
drückliche Begriffserklärung der Wirtschaft nicht gebraucht, drückt sie doch das
aus, was er meint. Die äußeren Güter empfangen nach Thomas ihre „Güte“
(bonitatem) aus ihrem Zwecke, leiten also aus ihrem Dienste ihre Würde und ihre
Gültigkeit ab.
Oportet autem quod ea quae sunt ad finem ex fine bonitatem accipiant. —
„Doch muß das, was einem bestimmten Zwecke dient, auch von ihm aus seine
Güte empfangen. Also ist es nötig, daß der äußere Reichtum ein Gut des Men-
schen sei, aber keines der höchsten, sondern gleichsam das einer niederen Ordnung.
Denn der Zweck ist ein Gut an sich, das andere aber nach dem, wie es sich dem
Zweck einordnet
2
.“
Die G e r e c h t i g k e i t . Die Gerechtigkeit ist für Thomas ein Grund-
begriff, der das Verhältnis der Menschen untereinander wie zur Gemeinschaft
als Ganzem bezeichnet.
1
Thomas von Aquino: Ausgewählte Schriften zur Staats- und Wirtschafts-
lehre, lateinisch und deutsch, herausgegeben von Friedrich Schreyvogl (= Die
Herdflamme, Bd 3), Jena 1923, S. 132 ff.
2
Thomas von Aquino: Ausgewählte Schriften, S. 166.