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ihrer gesundheitlichen Wirkung beurteilt wird (Aristoteles, 1. Polit. 6). Alle
äußeren Güter haben das Wesen dieser Zweckdienlichkeit, und so besteht das
menschliche Wohl notwendigerweise bei ihnen an einem Maßhalten, daß nämlich
der Mensch die äußeren Reichtümer nur, soweit er sie nach seiner persönlichen
Lage zu seinem Leben nötig hat, zu erwerben trachtet
1
.“
Es ist der Begriff des s t a n d e s g e m ä ß e n E i n k o m m e n s , den Thomas
hier begründet, und zwar nicht eigentlich aus volkswirtschaftlichen Gründen
heraus, sondern aus Gründen der allgemeinen Weltordnung. In dieser hat jedes
Ding seine Stätte, seinen S t a n d ; damit auch seinen Bedarf, sein standes-
gemäßes Einkommen
2
.
II. Der Merkantilismus als Übergangsform von der idealistisch
und universalistisch begründeten zur empiristisch und
individualistisch begründeten Volkswirtschaftslehre
Mit der Auflösung der echten Scholastik durch den N o m i n a -
l i s m u s kommt immer mehr ein individualistisches Denken auf
— im modernen Naturrechte. Der Subjektivierung der Idee —
dieses Wort in seiner platonischen, nämlich ontologisch-metaphysi-
schen Bedeutung gefaßt — die der Nominalismus heraufführte,
entspricht schnell eine Subjektivierung des Rechtsbegriffes und des
Staatsbegriffes, und zwar durch die Lehre von der Volkssouveränität
(Marsilius von Padua) und die Lehre vom Urvertrag (modernes
Naturrecht)
3
. Zwar wurde der allgemeine tragende Grundgedanke
des individualistischen Naturrechts nicht sogleich in voller / Schärfe
ausgesprochen, daß nämlich die einzelnen Menschen durch ihr Zu-
sammentreten den Staat erst gründen, daß also der Mensch logisch
(und vielleicht auch geschichtlich) vor dem Staate da sei; daß da-
her der Staatswille und das Recht sich von dem Willen der Bürger
ableite (Volkssouveränität). Aber von
M a r s i l i u s v o n P a d u a (ca. 1270—1340)
4
über J e a n
B o d i n (1530—1596)
5
, der den Sieg des individualistischen Natur-
1
Thomas von Aquino: Ausgewählte Schriften, S. 143 ff.
2
Vgl. dazu: Thomas von Aquino: Ausgewählte Schriften, S. 150 ff. („Die
drei geistlichen Räte“ der Armut, Enthaltsamkeit und des Gehorsams) und
S. 165 ff. („Wieso die Armut gut ist“).
3
Vgl. oben S. 46 ff.
4
Marsilius von Padua: Defensor pacis (1324), Bd 1, herausgegeben von
Cartellieri, Leipzig 1913. (Die Souveränität des Volkes ist Quelle aller politischen
Macht.)
5
Jean Bodin: Les six livres de la republique, Paris 1576.