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Der Akt der Gerechtigkeit, sagt Thomas, besteht darin, jedem das Seine zu
geben
1
. Es gibt zweierlei Gerechtigkeit, die Tausch- und die verteilende Gerech-
tigkeit. Mit beiden Bestimmungen übernimmt Thomas die aristotelische Begriffs-
erklärung, das Wesen der Tausch-Gerechtigkeit ist die Gleichheit des Entgelts
im Tausch.
„Die besondere Gerechtigkeit bezieht sich auf irgendeine Einzelperson, die
sich zum Gemeinwesen wie der Teil zum Ganzen verhält. Nun kann aber zu
einem Teil eine doppelte Beziehung hergestellt werden. Die eine des Teils zum
Teil, der die Beziehung einer Einzelperson zur anderen entspricht. Diese bestimmt
die Tauschgerechtigkeit, die das, was zwischen zwei Personen zum gegensei-
tigen Tausch vorgeht, zum Gegenstand hat. Die andere aber ist die des Ganzen
zu den Teilen, der die Beziehung des allen Gemeinsamen zu den Einzelpersonen
entspricht. Diese Beziehung regelt die verteilende Gerechtigkeit, deren Aufgabe
es ist, das Gemeinsame nach einem gewissen Verhältnis zu verteilen
2
.“
Vom Standpunkte eines streng soziologisch entwickelten Ganzheitsbegriffes
aus kann man meines Erachtens dieser aristotelisch-thomistischen Unterscheidung
allerdings nicht beipflichten. Von einem strengen Begriffe der Ganzheit aus, wie
ich ihn in meiner „Kategorienlehre“ entwickelte, kann es ein u n m i t t e l b a r e s
Verhältnis des Gliedes zum Gliede (des Teiles zum Teile) nicht geben, da das
Glied nur über seine Mitte hinweg, über das Ganze hinweg mit dem andern
Gliede in Verbindung tritt. Ich habe dies die / „Unberührbarkeit der Teilganzen
und Glieder“ genannt
3
. — Daher gilt der Begriff der Tauschgerechtigkeit, der
entgeltenden Gerechtigkeit, den Thomas von Aristoteles übernahm, nicht und
zeigt sich als ein unbewußt individualistisches Element.
Von hier aus entwickelte dann Thomas auch eine Lehre von Tausch und
Preis und vom G e l d z i n s , der bekanntlich — jedoch P a c h t , M i e t e u n d
W a r e n k r e d i t a u s g e n o m m e n
4
— mit Wucher gleichgesetzt, von Tho-
mas verworfen und von der Kirche verboten wurde
5
.
S i t t l i c h e B e s t i m m u n g s g r ü n d e d e s E i n k o m m e n s . Nicht
mechanische Bestimmungsgründe sind nach Thomas von Aquino für die Bildung
des Einkommens maßgebend, wie die individualistische Volkswirtschaftslehre der
Neuzeit lehrt, wonach Angebot und Nachfrage von Arbeit, Kapital und Boden
deren Preis und die damit gebildete Kaufkraft (das Einkommen) ihrer Besitzer
bestimmen; sondern ein normativer Gesichtspunkt ist es, von dem Thomas ausgeht
und der sich seinerseits wieder an dem Gedanken der durchgängigen Ausgerichtet-
heit aller Dinge aufeinander, der objektiven Zweckmäßigkeit begründet.
„Wo immer sich ein Gut befindet“, sagt Thomas, „besteht sein Wesen in dem
gebührenden Maß. Deshalb muß notwendig aus einer Überschreitung oder Ver-
kleinerung dieses Maßes Übel erwachsen. In allem Zweckhaften aber ist es das
Wesen des Gutes, mit Rücksicht darauf bestimmt zu sein. Denn alles, was einem
Zweck zustrebt, muß an diesem Zweck gemessen werden, wie die Medizin an
1
Thomas von Aquino: Ausgewählte Schriften, S. 208.
2
Thomas von Aquino: Ausgewählte Schriften, S. 211.
3
Vgl. Kategorienlehre (= Ergänzungsbände zur Sammlung Herdflamme,
Bd 1), 2. Aufl., Jena 1939, S. 282 ff., und Gesellschaftslehre, 3. Aufl., Leipzig
1930, S. 570 f.
4
Thomas von Aquino: Ausgewählte Schriften, S. 250 ff. und 235 ff.
5
Vgl. August Oncken: Geschichte der Nationalökonomie (= Hand- und
Lehrbuch der Staatswissenschaften in selbständigen Bänden, Abteilung 1, Bd 2),
Leipzig 1902, §§ 3 ff., S. 123 bis 134.