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sammenhängen. Die Gliedhaftigkeit des Einzelgeistes stellt überall

den Übergang vom Einzelnen zum Ganzen / sowohl wie vom Gan-

zen zum Einzelnen her. Weil ein Mensch alles was er tut, in Ge-

zweiung tut, wird er in einem anderen, der zeitlich jünger ist, also

geschichtlich nach ihm kommt, dasjenige auferwecken, was der ältere

erreichte; das bedeutet, daß auch der Gesamtgeist fähig ist, wieder

von Vertiefung zu Vertiefung zu schreiten. Die Geschichte zeigt

diesen Vertiefungsgang immer wieder in Religion, Kunst, Wissen-

schaft, Kirche, Staat, Sittlichkeit, Wirtschaft (freilich mit Brüchen,

Rückschlägen, Fehlentfaltungen, Fehlgründungen, von denen wir

aber jetzt nicht sprechen). Infolge der gliedhaften Ebenbildlichkeit

des Einzelnen finden wir im Gesamtgeist die Ordnung der Umglie-

derung schließlich als dieselbe wie beim Einzelgeiste, nämlich als

Gründung und Entfaltung. Demgemäß zeigt uns das Bild der Ge-

schichte überall die Gründung von Religion, Kirche, Staat, Kunst-

stil, sittlicher Lebensordnung und ihre Entfaltung, nicht aber eine

eindeutige Aufeinanderfolge von Blühen und Reifen und Altern.

Denn wenn auch die Entfaltungen stets durch Brüche, Rückfälle,

Gegengründungen unterbrochen oder gar vernichtet werden, so ist

das zwar ein Zeugnis dafür, daß der Geist sein Ziel niemals voll-

kommen erreicht, sein Wesen nicht rein verwirklicht, aber es ist je-

denfalls etwas anderes als der zwangsläufige, naturhafte Lebensgang

des Leibes.

Da die Ansicht darüber, welche Umgliederungsordnung gelte,

ob nämlich „Fortschritt“ oder „Lebensalterfolge“ oder „Gründung

und Entfaltung“ die Geschichte beherrsche, für jede Geschichtsphi-

losophie entscheidend ist; und weil überdies der heutige Bildungs-

geist unserem Standpunkte widerspenstig gegenübersteht, sei es ge-

stattet, nochmals von einer andern Seite her die Frage aufzurollen.

Jenes Verhältnis, in welchem sich das Wesen des Geistes am tiefsten

erkennen läßt, ist das Verhältnis von innerem Schauen und äußerem

Handeln. Dieses wollen wir, obzwar in früheren Schriften bereits

erörtert, im folgenden gründlich untersuchen.

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B. S c h a u e n u n d H a n d e l n

Unsere Behauptung, daß der Geist von Vertiefung zu Vertiefung

schreitet, weist uns insofern auf die Untersuchung des Verhältnisses