Table of Contents Table of Contents
Previous Page  5378 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 5378 / 9133 Next Page
Page Background

[155/156]

139

stimmten Begriffen und Worten aussprechen, der Maler das ge-

schaute Bild durch Pinselstriche hinsetzen, der Staatsmann den Ge-

danken ausführen. Je nach der Art der Eingebung und ihrer Auf-

nahme in den Geist wird das Handeln zu jenem des Gelehrten, des

Künstlers oder aber des Staatsführers, Kirchenführers, Wirtschafts-

führers, Technikers. Je nachdem was geschaut wurde, ist auch die

Verarbeitung und Verwertung eine andere.

Damit haben wir das Grundsätzliche dargestellt. Jener Punkt, der

nun noch weiter aufzuklären ist, liegt in dem Verhältnis, welches

das Schauen und Handeln dabei zueinander hat.

Zum Schauen gelangt, und umso mehr, je höher wir die Schauung

ansetzen, und wäre es die höchste Form, die mystische Verzückung,

muß der Mensch die schmerzliche Erfahrung machen: daß er im

S c h a u e n n i c h t l e b e n k a n n . Das ist das tiefste Gesetz,

zugleich die tiefste Frage des Lebens. Stets muß sich der menschliche

Geist von der Berührung mit der Ideenwelt losreißen, muß zum

Verarbeiten auf sinnlicher Ebene, muß sogar zum äußeren Handeln

übergehen. Dem Schauen muß wieder ein Handeln folgen. Aus der

Berührung der nicht faßbaren Welt muß der Mensch in die faßbare

zurückkehren. Wie das zugeht, erhellt aus dem Obigen. Was im

Schauen angesammelt / wird, fließt in Wirken aus. Es liegt im We-

sen des Wirkens, aus dem Schauen zu folgen, es liegt im Wesen des

Schauens, sich im Wirken darzustellen. (Dieses „Sichdarstellen“,

„Ausfließen“, ist allerdings kein mechanisches, kein zwangsläufiges

Wirken. Sowohl Schauen wie Wirken beruhen auf Eigentätigkeit,

„Selbstsetzung des Ich“, wie Fichte sagte.)

Die Mystiker sagen uns übereinstimmend, daß sie nicht begreifen,

wie die Seele, die den hohen Zustand mystischer Schau erlebt, später

noch im Leibe und wie ihr Träger noch Mensch unter Menschen sein

könne. Dasselbe kann aber jeder gewöhnliche Mensch im Kleinen

für sich feststellen, wenn er von einem erhobenen Zustande des Rau-

sches, der Begeisterung, der Innigkeit in den gewöhnlichen herab-

sinkt; oder sogar, wenn er von dem Zustande gewöhnlicher geistiger

Klarheit in dumpfes, willenloses Dösen hinuntersinkt. Wie steht es

mit dieser Grund- und Urerfahrung des menschlichen Lebens? Aber

die Antwort auf die Frage, w a r u m d a n n d e r n i e d r i g e

Z u s t a n d w i e d e r k e h r e , liegt schon in der Frage selbst:

Darum, weil auch die niederen Geisteszustände des gewöhnlichen