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geistig-leiblichen Lebens auf höheren Bildekräften beruhen, ja auf
denselben Bildekräften wie die höchsten ekstatischen Zustände
selbst. Es wirken in Wahrheit im gewöhnlichen Zustande hohe
schöpferische Kräfte, dieselben Kräfte, dieselbe Ubernatur, die in
der tiefsten Tiefe des Menschengeistes schlummern, nicht in gleicher
We i s e zwar, sondern abgeschwächt, abgewandelt, verdeckt, gleich-
sam auf gebundener Ebene; aber dennoch sind es dieselben Kräfte.
Daß der Mensch etwas denkt, daß er ein Wort ausspricht, daß er
eine Gestalt bildet, daß er gar das Übersinnliche ahnend erlebt —
das sind auch in den geringsten Formen höchste Wunder der
Ü b e r n a t u r !
Zuletzt: Die stoffliche Natur selbst kann überstofflicher Bilde-
kräfte nicht entbehren. Wäre dem nicht so, dann könnte unser Geist
auch mit der Natur nichts anfangen. Denn eine / schlechthin geist-
fremde Natur könnte seine Welt des Lebens nicht sein. Er könnte
sie weder denken noch mit den Sinnesorganen erfassen. Doch ist
dieser Gedankengang hier nicht zu verfolgen.
Soweit wäre das Verhältnis von Schauen und Handeln, von In-
nerem und Äußerem geklärt. Den Vorrang hat das Schauen, den
Nachrang die vollendete, aktualisierende und versinnlichende (kon-
kretisierende) Art, das Handeln. A b e r w a s g e s c h i e h t ,
w e n n d a s H a n d e l n b e e n d i g t i s t ? Das ist nun die
Frage, ohne deren Beantwortung das Verhältnis von Schauen und
Handeln noch immer nicht aufgeklärt ist. Das Hervorstechende da-
bei ist die Undauerbarkeit des Werkes. Das Werk wird verwirk-
licht — und entwirklicht sich damit auch schon! Denn es gehört der
Zeit an und verfällt, entwird. Der ganze Fluch des Daseins liegt auf
dem Werke. Das Werk ist nicht, während ich es tue. Das Wort ver-
hallt, während es gesprochen, die Farbe verblaßt, während der Pin-
sel angesetzt wird. Schon im Getanwerden vergeht alles. Das Innere
dagegen hat einen unendlichen Vorzug vor den anderen Lebens-
formen, dadurch, daß es sich, wie durch unbegreifliche Magie, vor
der Zeit schützen kann. In der inneren Versenkung gibt es keine
Zeit. Und durch Erinnerung wird das Gewesene der Zeit entrissen.
Was der Mensch im Innern hat, kann ihm niemand entreißen, es ist
nicht verzeitlicht, noch weniger verräumlicht. Aber das Werk ist
verzeitlicht und verräumlicht.