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selbst abspielt und nur durch äußerst vielfältige und feine V e r -
m i t t l u n g e n hindurch Gründungen und Entfaltungen, Brüche
und Spannungen, Bewegungen im Ganzen hervorrufen kann. —
Das Gebäude der verschiedenen Geschichtsschreibungen gründet sich
also auf die verhältnismäßig selbständigen Schichten im gesellschaft-
lichen Geschehen. Beides ist notwendig, die Einheit wie die Selb-
ständigkeit dieses Geschehens darzustellen. Die einzelnen Gebiete
haben eine rein gliedhafte Stellung, soweit nicht Fehlentfaltungen
und Fehlgründungen stören.
Es versteht sich von selbst, daß diese Schichtung auch auf die
geschichtliche Verfahrenlehre einen Einfluß hat. Die Vorstellung, als
gebe es nur Ein geschichtliches Verfahren, wie sie in den herrschen-
den Lehrbüchern der Geschichtsforscher sowohl wie der Logiker
zum Ausdrucke kommt, ist nicht haltbar.
Vor allem muß z w i s c h e n G e i s t e s g e s c h i c h t e , A n -
s t a l t s g e s c h i c h t e
u n d
L e b e n s g e s c h i c h t e
d e r
P e r s ö n l i c h k e i t v e r f a h r e n k u n d 1 i c h u n t e r -
s c h i e d e n w e r d e n . Der Geschichtsschreiber der Philosophie
oder der Volkswirtschaftslehre oder der Naturwissenschaften oder
der Sprache hat weder urkundentechnisch und noch weniger stoff-
lich dem Wesen nach das gleiche Verfahren wie der Geschichtsschrei-
ber von Staaten und Kriegen und dieser wieder nicht das gleiche
wie der Verfasser der Lebensgeschichte großer Männer. In der Ge-
schichte der Philosophie, der Theologie, der Gesellschaftswissen-
schaften, der Naturwissenschaften, der Dichtung, Malerei, Plastik,
Tonkunst, Baukunst, / Sprache, kurz der Geistesgeschichte kommt
es in erster Reihe auf die s y s t e m b e s t i m m e n d e n G e -
d a n k e n an, soweit es sich um das Begriffliche, auf die S t i l -
g e d a n k e n , soweit es sich um das Gestaltliche handelt. D a h e r
m u ß h i e r d e r G e s c h i c h t s s c h r e i b e r e r s t d i e A r -
b e i t d e s S y s t e m a t i k e r s m a c h e n , u m ü b e r h a u p t
z u w i s s e n , w e l c h e G e s c h i c h t e e r s c h r e i b e n
s o l l , denn er kann ja nicht alle Bücher aller Verfasser, alle Werke
aller Künstler wiedergeben. Dagegen handelt es sich in der Ge-
schichte der Anstalten um etwas anderes. Bei Staaten, Kirchen,
Ständen, Sippen ist die anstaltliche Bauart, sozusagen der Organi-