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sationsstil, zwar ebenfalls von grundlegender Bedeutung, wie etwa
der Unterschied: Ständestaat — demokratischer Staat, vaterrecht-
liche — mutterrechtliche Sippe klar macht; aber es handelt sich für
den Geschichtsforscher doch vielmehr um die Erforschung der in-
neren Lebensnotwendigkeiten, das heißt der jeweiligen Sacherfor-
dernisse der Umgliederung jener handelnden Ganzheiten, deren
Geschichte er schreiben will. Allerdings wird auch da der Geschichts-
schreiber ohne Kenntnis der Kategorien der Staats- und Rechtswis-
senschaft, Volkswirtschaftslehre, Strategie und Taktik und anderer
nicht auskommen. — Ferner ist es klar, daß bei der geisteswissen-
schaftlichen Geschichtsschreibung die Urkundenkritik eine viel ge-
ringere Rolle spielt und ganz andere Form annimmt — man denke
an die Frage nach der Echtheit und der Reihenfolge der Werke des
Platons und Aristoteles — als bei dem Geschichtsschreiber der An-
stalten, welcher die Urkunden vielmehr in einem äußerlich-techni-
schen Sinne zu beurteilen hat.
Bei aller Einheit der geschichtlichen Begriffsbildung gilt: Es gibt
nicht ein einziges geschichtliches Verfahren, sondern wesentliche
Unterschiede der Verfahren für die Geistesgeschichte und die An-
staltgeschichte
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An diesem Verhältnisse wird auch klar, was hier nebenbei zu bemerken
erlaubt sei, inwiefern die A u s b i l d u n g u n s e r e r G e s c h i c h t s f o r -
s c h e r heute nicht zureicht. Gewiß brauchen sie zum Handwerkszeug die
nötigen quellenkritischen Kenntnisse und Forschungen. Damit bleibt aber die
Bildung des Geschichtsschreibers im Rahmen des Endes. Die Grundlage, der An-
fang von allem wird vernachlässigt: die t i e f e p h i l o l o p h i s c h e u n d
d i e u m f a s s e n d e g e s e l l s c h a f t s w i s s e n s c h a f t l i c h e B i l d u n g .
Nur durch sie allein wird der politische Geschichtsschreiber fähig, den geistes-
geschichtlichen Untergrund seines Gegenstandes, die philosophisch-religiösen,
wissenschaftlichen, künstlerischen, sittlichen Gründungen, Entfaltungen, Brüche
und Spannungen zu verstehen, sie als Kräfte in das anstaltliche Leben der
politischen Ebene einzusetzen und dieses politische Leben in seinem inneren
Gliederbau zu sehen. Wenn wir hinzufügen, daß auch der Sondergeschichtsschrei-
ber nicht ohne seine S o n d e r t h e o r i e auskommt, so der Wirtschaftsge-
schichtler nicht ohne Wirtschaftstheorie, der Ordensgeschichtler nicht ohne Theo-
logie, der Kriegsgeschichtler nicht ohne Kriegswissenschaft, behaupten wir nichts,
was nicht in Früherem seine Begründung fände, übrigens jedem einleuchtet.
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Vgl. dazu oben S. 153 ff.
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