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lichung gediehen. Zuerst pflegt sich dabei eine Erscheinung einzu-

stellen, die man eine K u l t u r Ü b e r d e c k u n g o d e r K a l t -

s t e l l u n g nennen kann, nämlich eine Überdeckung jener Gebilde

und Schichten, die von der Vereinheitlichung nicht ergriffen wur-

den, z. B. Recht, Brauch, Sprache, Kunstübung der ver- / drängten

Gruppen. Die Spannung zwischen den betreffenden Schichten bleibt

dann zwar zurück, aber nur verhalten, sie tritt nicht in Wirksam-

keit. Denn die kaltgestellte, gleichsam mumifizierte Kulturschicht

hat in ihrer Eigenart nur ein gemindertes Dasein. Wenn z. B. eine

Sprache nur noch als Mundart in abgelegenen Gegenden und nie-

deren Volksschichten weiterlebt, kann die Spannung zu der sie

überdeckenden Verkehrs- und Schriftsprache nur eine äußerst ge-

ringe sein. Das Bretonische in Frankreich war wohl bis vor kurzem

vom Französischen gänzlich überdeckt. Auch vom Ungarischen

und Tschechischen kann man sagen, daß sie in der nach-mariathere-

sianischen Zeit Österreichs nicht weit von diesem Punkte entfernt

waren, da die deutsche Sprache in Amt und Schule, in Gesellschaft

und Schrifttum einen vollen Sieg behauptete. Umgekehrt wird man

eine Überdeckung des Deutschen darin erblicken müssen, daß Leib-

niz französisch schrieb, Mozart italienische Opern vertonte (Folgen

des deutschen Zusammenbruches im 30jährigen Krieg).

Es kann aber der geschichtliche Augenblick kommen, wo die über-

deckten, schon halb mumifiziert geglaubten Gebilde und Schichten

wieder neues Eigenleben erhalten und selbständig hervortreten.

Dann haben wir den Vorgang der eigentlichen Kulturscheidung vor

uns. Entfernt kann er auch mit der „Aufspaltung“ im Sinne der

Mendelschen Gesetze verglichen werden (sofern man sich nämlich

das Aufgespaltene als im „Genotyp“ erhalten denkt). Das Unga-

rische und Tschechische trat hervor, heute beginnt auch das Breto-

nische hervorzutreten und sich von dem es überbauenden Volks-

tume zu scheiden. — Selbstverständlich kann aber auch eine Kul-

turscheidung stattfinden, bevor es zu einer vollen Uberdeckung und

gefährlichen Kaltstellung kam.

Daß jeder Scheidung infolge der mißglückten Vereinheitlichungs-

versuche ein ungeheurer K u l t u r v e r l u s t vorherging, ist eine

Grundtatsache der Geschichte. Wo Kulturdurchdringungen und

Kulturscheidungen, dort sind auch Kulturverluste. / Am fürchter-