[276/277]
241
durch die Römer ableitete. In seinem Werk „Die Zeit Konstantins des Großen“
entwirft er davon ein erschütterndes Bild. Er sagt
1
:
„Alte Kulturvölker, welche nach einer glanzvollen Vergangenheit in die Hand
fremder, etwa relativ barbarischer Eroberer gefallen sind und Jahrhunderte hin-
durch ungefragt von Hand zu Hand gehen, nehmen leicht ein Wesen an, welches
dem ausländischen Beherrscher als verschlossene Bösartigkeit erscheint, mag es
auch nur zum Teil diesen Namen verdienen. Den Anfang hiezu machte die per-
sische Eroberung, welche die Ägypter nicht nur durch Unterwerfung und Druck
an sich, sondern auch durch Mißachtung ihrer alten Religion auf das Schreck-
lichste, und zwar bleibend verbitterte. Der einfache Lichtkultus der Perser stieß
sich an der massenhaften halbtierischen Götterwelt ihrer neuen Untertanen; den
einen war gerade all dasjenige unrein, was den anderen heilig erschien. Daher jene
nie endenden Empörungen, die mit Strömen Bluts nicht zu stillen waren. Die
darauf folgenden griechischen Herrscher brachten / keinen solchen Zwiespalt mit
sich; ihr hellenischer Glaube suchte in dem Polytheismus Vorderasiens und Ägyp-
tens nicht Verschiedenheiten, sondern sehr geflissentlich die Verwandtschaften mit
dem Ihrigen. Für Alexander den Großen ist Ammon gleich Zeus.. .“ „Als
Augustus nach dem Siege von Aktium das inzwischen etwas herabgekommene
Land übernahm, sollte es plötzlich nur noch in bezug auf Rom existieren dürfen.
Keine Provinz wurde so überwacht wie diese, sowohl wegen des gefährlichen
Volksgeistes und bedenklicher Weissagungen, als wegen der außerordentlichen
Wichtigkeit.“
2
Die wirtschaftliche Aussaugung des Landes durch die Römer kam
hinzu und nicht zuletzt jene Barbarisierung Ägyptens, die von dem Räuber-
unwesen der Bukolen ausging. — Burckhardt fügt diesen Schilderungen bedeut-
sam hinzu: „Dergleichen unterdrückte, in neuer Barbarisierung begriffene Be-
völkerung [wie die ägyptischen Bukolen nämlich] würden wir im ganzen [römi-
schen] Reiche noch manche kennen, wenn die Provinzialgeschichte nicht so stumm
wäre.“
3
— „Zu diesen Bukolen zog sich nun alles, was mit der bürgerlichen
Ordnung überworfen war.“
4
— Anläßlich der vielen Empörungen, die nun nach-
einander folgten, wurde das Land schrittweise ins Verderben gestürzt, entvölkert.
— Burckhardt hat mit richtigem Instinkte die Frage des Unterganges der Ägyp-
ter von der religiösen und politischen Seite her angefaßt — nicht vom materiali-
stischen Standpunkte des Rassenverfalles her.
Das größte Beispiel einer Kulturdurchdringung im hellen Lichte
der Geschichte bietet Rom und die V ö l k e r w a n d e r u n g .
Das verfallende Römerreich wird durchsetzt mit nordischen Völ-
kern. Das ist der äußere Ausgangspunkt dieses weltgeschichtlichen
Vorganges, der noch heute die Grundlage unserer europäischen
Völkerverteilung bildet. Aber um dieses Ringen der Kulturen zu
verstehen muß man bedenken, daß nicht nur in ihm selbst eine
1
Jacob Burckhardt: Die Zeit Konstantin des Großen (1852), 5. Aufl., Leipzig
1927, S. 127 ff.
2
Jacob Burckhardt: Die Zeit Konstantin des Großen, S. 129.
3
Jacob Burckhardt: Die Zeit Konstantin des Großen, S. 130 f.
4
Jacob Burckhardt: Die Zeit Konstantin des Großen, S. 133, vgl. auch S. 135 ff.
16 Spann 12