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lichsten sind die Kulturverluste, wenn weder die Durchdringung

noch die Scheidung gelingt.

Eine deutliche Kulturscheidung lag z. B. vor, als im Mittelalter die völkischen

Sprachen in der Dichtkunst (Minnesang) und im Schrifttum der Prediger (in

Deutschland Berthold von Regensburg und Meister Eckehart), später auch in

Kanzlei, Amt und Kirche (Reformation), schließlich auf den hohen Schulen und

in der Wissenschaft (Paracelsus, Leibniz) selbständig auftraten und das Latei-

nische immer mehr verdrängten. Im Mittelalter war das Latein allgemeine

Bildungssprache, auch bis in die Dichtung hinauf. Schopenhauer sagt über diesen

Vorgang: „Die Abschaffung des Lateinischen als allgemeiner Gelehrtensprache

und die dagegen eingeführte Kleinbürgerei der Nationalliteratturen ist für die

Wissenschaften in Europa ein wahres Unglück gewesen. Zunächst, weil es nur

mittels der lateinischen Sprache ein allgemeines europäisches Gelehrtenpubli-

kum gab. . Also Kulturverlust! Allerdings ist damit nur eine Seite des

Vorganges getroffen. Seine tieferen Gründe liegen in der Scheidung der Volks-

tümer und Staaten Europas überhaupt, die wieder in der Abkehr von der Ein-

heitskultur des Mittelalters, welche die überdeckten Schichten nicht voll umzu-

gestalten, ihre Spannungen nicht ganz zu lösen vermochte, notwendig beschlos-

sen lag.

2. Blicke auf die Geschichte der Kulturdurchdringungen

Von der bestimmenden Rolle, welche Kulturdurchdringungen

in der Geschichte spielten, überzeugt jeder Blick, den man auf ihren

Gang wirft.

Der O r i e n t zeigt sich voller Kulturdurchdringungen, schon von der Zeit

der Sumerer, Babylonier und Assyrier an. Indiens Kastenwesen bedeutet in seinen

tieferen Grundlagen eine Kulturscheidung mehrerer Völkerschichten — zuletzt

der Arier und der Urbewohner (wohl nicht aller in gleichem Maße). Und dieses

Kastenwesen beweist, daß die Kulturdurchdringung nicht möglich war, jeden-

falls seinerzeit nicht gelang. Allgemein wird ja auch dieses Kastenwesen richtig

dahin verstanden, daß es der einzige Schutz vor einem Mischmasch war, zu wel-

chem die allzu innige Kulturberührung hätte führen müssen (selbst dann, wenn

von der Rassenfrage abgesehen würde).

/

Eine genauere Vorstellung können wir uns von dem kühnen Kultur durch-

dringungs-Versuche machen, den A l e x a n d e r d e r G r o ß e unternahm. Um

den ganzen Vorgang richtig zu beurteilen, muß man bedenken, daß die gesamte

griechische Geschichte in gewissem, allerdings sehr eingeschränktem Maße unter

dem Zeichen der Kulturdurchdringung mit dem Oriente stand. Die Philosophie

des Pythagoras, Orpheus, Heraklit, sogar der Platonismus selbst scheint mir nicht

verständlich, ohne mächtige orientalische (indische und iranische, zum Teil ägyp-

tische) „Kultureinflüsse“ anzunehmen. Die politischen Notwendigkeiten, wie sie

1

Arthur Schopenhauer: Parerga und Paralipomena (1851), Bd 2, § 261.