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allerdings schwer vorstellen kann). Jene „Austrocknung“, selbst wenn sie schnell

und umfassend genug erfolgt wäre, was aber entschieden zu bestreiten ist, hätte

von sich aus nichts bewirkt, was jenen geschichtlichen Vorgängen zu vergleichen

wäre. Gewiß sind die Naturereignisse wichtige Vorbedingungen, Unterlagen

und Werkzeuge geschichtlichen Geschehens; aber der Geist benützt und bewegt

sie, er bestimmt sie, bewirkt sie sogar zum Teil und behauptet auf beide Weise

den Vorrang.

Der Geist arbeitet sowohl nach Umwelt wie Rasse in der Geschichte stets

mit dem Stoffe, den er vorfindet oder hervorlockt. Die Umwelt ist nicht nichts,

und nur weil sie dies ist, kann sie Grundlage einer Spannung sein. Gebirge und

Meere haben ihren genius loci, aber der Geist behauptet den Vorrang.

Auch sonst pflegen die umweltlichen Bedingungen des geschichtlich-gesell-

schaftlichen Lebens überschätzt zu werden. Das zerrissene G e b i r g e soll in

Griechenland und in der Schweiz den „Kantönligeist“ erzeugt haben — warum

aber nicht in den übrigen Alpen ebenso wie in der Schweiz? Warum nicht eben-

so in Mazedonien, wie in Griechenland? — Oder: die Alpen und Pyrenäen sol-

len den „ L e b e n s r a u m “ der Deutschen und Franzosen abgrenzen. Aber

die Westgoten sind über die Pyrenäen gestiegen und haben ein Reich dies- und

jenseits dieser „Grenze“ gegründet. Die Germanen stiegen von den Cimbern und

Teutonen bis zu den Langobarden über die Alpen. Für die Römerzüge der

deutschen Kaiser waren sie kein Hindernis — all das, was die alte „ A n t h r o -

p o g e o g r a p h i e “

1

und die neue „Geopolitik“ an Gesetzlichkeiten aufstell-

ten, hält nicht vor.

Wir bezeichnen die aus dem Altersaufbau der Bevölkerung, der

Rasse und am meisten die aus der Umwelt kommenden Spannungen

als vorbedingende oder artfremde Spannungen, indem wir ihnen

die arteigenen Spannungen des Geistes selbst, / nämlich die inner-

gesellschaftlichen, die den Vorrang haben, entgegenstellen. Aber ein

Vorrang ist nur dort möglich, wo eine gewisse, wenn auch vermit-

telte Einheit besteht. Auf diese vermittelte Einheit, die sich am

deutlichsten in der Einheit des gesamtorganischen Lebens mit dem

Gesamtgeistigen aufdrängt, sei im folgenden noch hingewiesen.

C. B e m e r k u n g e n ü b e r d i e E i n h e i t d e s o r g a n i -

s c h e n L e b e n s , g e g r ü n d e t d u r c h d i e E i n h e i t

d e s G e i s t e s l e b e n s

Der Mensch kann unendliche Fortschritte in der Erkenntnis von

Gesellschaft und Geschichte machen, wenn er sich nur Eines abge-

1

Friedrich Ratzel: Anthropogeographie (1882 und 1891), 3. Aufl., Stuttgart

1909.