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er muß auch die Zukunft in ihr, die schon voranwesend ist (so in

jedem Planen, Vorausdenken), bemerken und lebhaft ergreifen!

Konkrete Zeit ist durchaus keine ungegliederte Stetigkeit des Flus-

ses, sondern notwendig ein Ineinander von Vergangenheit und

Zukunft in der Gegenwart. Und eben dadurch und nur dadurch,

daß Früheres und Künftiges in ihr vereint ist, besteht Gegenwart. /

Dadurch auch erweist sich die Zeit als in ihrem Gehalt gegliedert,

erweist sie sich als eine Fülle von Inhalt, etwas Buntes, Nicht-Ein-

förmiges, erweist sie sich als Geschichte. — Dieser Lehrbegriff der

Zeit zeigt uns also soviel, daß die Zeit nichts Ungegliedertes, Homo-

genes, Bestimmungsloses ist und daher kein Apeiron, Chaos, Wü-

stes; sondern eben vielmehr als Gegliedertes und Inhomogenes, ein

Begrenztes ist und Geschichte möglich macht.

Je mehr Vergangenheit und Zukunft die Gegenwart enthält, um

so größere Fülle ist in ihr als der Umgliederung einer Ganzheit ent-

halten. Zu beiden gehören Kräfte, ausladende Lebenstätigkeit des

Ganzen. Dabei ist es schwerer, die Zukunft als die Vergangenheit

gegenwärtig zu machen. „Die Zukunft ist nicht für den Kranken —

nur der Blick des Gesunden kann sich dreist in ihre wunderlichen

Wogen verlieren“, sagt Novalis, nahe seinem Tode

1

. Wieviel wird im

Leben des Einzelnen versäumt, weil es an Mut, an Kraft für die

Zukunft fehlt; wieviel wird in der Geschichte versäumt, weil die

führenden Männer ihre Zukunftsschau und Zukunftshoffnung ver-

läßt! Man kann sagen: die Geschichte besteht aus versäumten Gele-

genheiten. Auch zur Lebendigmachung der Vergangenheit gehört

Gemütskraft, Aufrichtigkeit sich selbst gegenüber, Besonnenheit.

Aber das kostbare Gut des Zeitlebens ist die Zukunft, denn schöp-

ferisches Planen und Sehertum sind es, durch welche sie schon in

die Gegenwart hereingezogen wird.

Ohne Sehertum kein Geistesleben, keine Geschichte — mag man

es klein oder groß denken. Sehertum ist kein Erraten, sondern in-

neres Wissen und Schauen des Wesens, daher des wahren Umglie-

derungsgehaltes, dem es zum Durchbruche verhilft. Man muß die

1

Friedrich Leopold Freiherr von Hardenberg (genannt Novalis): Schriften.

Im Verein mit Richard Samuel herausgegeben von Paul Kluckhohn, 4 Bde, Leip-

zig 1929, Bd 4, S. 404.