368
[424/425/426]
schon vorher die Sprache haben; um in Wechselwirkung zu treten,
müßte er schon vorher geistig / da und fertig sein
1
.“) Es wird heute
schon gefühlt, daß die empiristische Sprachauffassung erfolglos und
wesenswidrig ist. Keine empiristische Theorie kann auch nur einen
Schimmer echter Erklärung dafür geben, wie das ungeheuerste Werk
des Geistes, das unerschöpfliche und unaussprechliche Wunder der
Sprache, namentlich der hohen indogermanischen Sprachen alter
Zeit, entstanden sei.
Um der Sache auf den Grund zu kommen, müssen wir uns be-
sinnen, was überhaupt die Sprache sei. In unserem Zusammenhange
ist wesentlich: daß sie Unmittelbares — das Verstehen, Erleben,
Denken des Menschen — durch ein Mittelbares — die Sätze, Worte,
Laute — darstellt und zum Ausdrucke bringt. Die Sprache ist ein
Inbegriff von Zeichen, von Sinnbildern, diese selbst wieder sind
nicht etwa technisch-utilitarische Abkürzungen, sondern Gestaltung
eines intuitiv Erlebten, sind intuitive Hervorhebung des Wesent-
lichen — w a h r e Entsprechungen! Sinnbild oder Zeichen ist alles,
was entsprechungsweise durch ein Äußeres (Mittelbares) auf ein
Inneres (Unmittelbares) hinweist, oder von anderer Seite her gese-
hen, wo ein Äußeres auf ein Inneres zurückgeführt wird. Das Zei-
chen ist ein Äußeres mit Bedeutungsgehalt. Die Sprache verwendet
das Äußere, Mittelbare des Zeichens zur Hervorbringung, Hervor-
ziehung des Inneren, Unmittelbaren.
Weist die Sprache durch den Bedeutungsgehalt ihrer Zeichen auf
den inneren geistigen Zustand des Menschen als auf eine geistige
Urwirklichkeit, geistige Unmittelbarkeit hin, so ist es klar, daß diese
geistige Urwirklichkeit notwendig den Vorrang vor ihren Zeichen,
ihrem Ausdrucke hat.
Wie kann also die Sprache entstanden sein?
Nur dadurch, daß ein geistiger Urzustand des Menschen ange-
nommen wird, in welchem o h n e V e r m i t t e l u n g Geist mit /
Geist verbunden war. In jenen Zuständen unvermittelter geistiger
Berührung, die wir wiederholt anführten, und die man heute hell-
seherisch, somnambul, schlafwandlerisch, verzückt und ähnlich zu
benennen pflegt, in jenen Zuständen haben wir die Trümmer des
1
Vgl. mein Buch: Gesellschaftslehre (1914), 3. Aufl., Leipzig 1930, S. 413
[4. Aufl., Graz 1969, S. 494.].