Table of Contents Table of Contents
Previous Page  5608 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 5608 / 9133 Next Page
Page Background

[426/427]

369

i n n e r e n U r z u s t a n d e s d e r M e n s c h h e i t vor uns,

eines Zustandes, in dem zwar eine innere Gestaltung des Geistes,

also gleichsam ein geistiges Urbild der Sprache, aber keine äußer-

liche Darstellung (in Lautbildern und so fort) zu denken ist.

Heute kann das Denken und der Geist nur mit Hilfe der Sprache

ausgebildet werden. Daher kann die Sprache nicht mehr durch den

Geist entstehen. Wir sehen im Gegenteile seit Jahrtausenden überall

einen bestimmten Niedergang der Sprache (äußere Bereicherung,

bei innerer Verarmung an Form und Gefüge). Nur wenn der hoch

ausgebildete Geist in unmittelbarer Mitteilungsfähigkeit gedacht

wird und dann l a n g s a m ein Zustand eintritt, in welchem sich

die Urverbindung der Geister, die Unmittelbarkeit ihrer Berührung,

die hellseherische Gedankenübertragung immer mehr löst; in wel-

chem daher Vermittelung, nachträgliche Mitteilung, äußere Dar-

stellung durch gleichsam eruptiv sich einstellende Zeichen und Bil-

der immer mehr nötig wird, nur dann kann man die Entstehung

der Sprache erklären.

Wer diese Sachlage gründlich überdenkt (er mag sich als neuzeit-

licher Mensch, der an Mechanisches gewöhnt ist, noch so sehr da-

gegen sträuben), wird unweigerlich zu der Überzeugung kommen,

daß die Sprache aus einer Auflösung des Zustandes der Unmittel-

barkeit im Zusammenhange der Geister entstanden sein muß. Denn

ihr ganzes Wesen besteht darin, diese Unmittelbarkeit nachträglich

zu ersetzen. — Daß die Sprache auf einen verlorenen Zustand hö-

herer Unmittelbarkeit, als er uns jetzt zur Verfügung steht, zurück-

weist, wird auch daran klar, daß jene verlorene Unmittelbarkeit in

gewissem Maße wiederherstellbar ist, und zwar nicht nur in den

angeführten hellseherischen Zuständen, / sondern überall dort, wo

von Zeit zu Zeit die Sprache überflüssig wird und man sich unmit-

telbar versteht.

Nie und nimmer kann die Sprache aus Niederem hervorgegangen

sein. Wer das behauptet, bedenkt nicht, daß die Sprache nicht dis-

kursiv, das heißt von Fall zu Fall und durch Häufung vieler Einzel-

fälle erfunden werden kann. Dann müßten die herrlichen, uner-

gründlichen Ursprachen sozusagen langsam herangebildete Volapük-

sprachen sein. Konnte so die Sprache Homers entstehen? Die leben-

dige Sprache entsteht „nicht ,durch Entwicklung' nicht durch Hin-

zufügen und Hinwegnehmen, sondern eruptiv, ekstatisch, aus

24 Spann 12