20
[23/24]
III. Die Weiterführung der Grundeinteilung
Die Unterscheidung empiristischer und nicht empiristischer Lehr-
gebäude unter gleichzeitiger Trennung von Erlebnisgrundlage, Be-
griffsgebäude und Mischsystemen bringt Ordnung in die sonst un-
auflösliche Vielheit philosophischer Lehrgebäude der Geschichte
und Gegenwart, wie sich später erweisen soll. Dennoch wollen wir
uns bei dieser Grundeinteilung nicht ganz beruhigen, denn es blei-
ben dann sowohl noch in den empirischen wie auch in den idealisti-
schen Philosophien mehr oder weniger große häusliche Gegensätze
zurück. Aber wenn es auch nur häusliche Gegensätze sind, zeigen
sie sich zum Teil doch recht wirksam, wie etwa der Unterschied von
Kant zu Schelling oder von Sokrates zu Platon sichtbar macht. Um
solche Unterschiede wieder in ihrer tieferen Gemeinsamkeit zu ver-
stehen, bedarf es noch / einer weiteren U n t e r t e i l u n g , und
zwar einer Unterteilung der Eingebungsgrundlage, da diese die Vor-
aussetzung der Begriffswerke bildet.
Die Eingebung des Philosophen führt ihn zuletzt auf sich selbst
zurück. Es ist, was wir hier nur aussprechen, noch nicht beweisen
können, das Wesen des Geistes, in das sich der Philosoph zu ver-
tiefen hat. Der m e n s c h l i c h e G e i s t t r ä g t d i e W a h r -
h e i t i n s i c h s e l b s t . Sie ruht als der göttliche Funke seines
Wesens auf seinem tiefsten Grunde. Vollkommen kann niemand bis
dorthin Vordringen, aber es ist nicht unmöglich, gleichsam die
i n n e r e n H a l t e s t e l l e n zu bezeichnen, die der menschliche
Geist zurücklegt, bis er zum letzten Funken seines Wesens gelangt.
Wer versteht, daß das „Erkenne dich selbst“ das letzte Wort der
Philosophie sei, der hat den Schlüssel zum Verständnis aller Lehr-
gebäude, den Schlüssel zur gesamten Geschichte der Philosophie in
der Hand. Im „Erkenne dich selbst!“ ist die Erkenntnis der Ein-
gebungsgrundlage jeder Philosophie beschlossen.
Die Unterscheidung solcher innerer Haltestellen des philosophi-
schen Grunderlebnisses hat naturgemäß etwas Willkürliches an sich,
da in Wirklichkeit die Übergänge fließend sind. Unter diesem Vor-
behalte geben wir hier folgende, später noch zu rechtfertigende Ein-
teilung: