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N i h i l e s t i n i n t e l l e c t u , q u o d n o n f u e r i t i n
s e n s u , nichts ist im Verstande, was nicht vorher in den Sinnen
war. Nach dieser Lehre machen das Denken (Erkennen) aus: (a) Die
Sinneseindrücke (Wahrnehmungen) als das Ursprüngliche der Er-
fahrung und des Denkens. Unsere gesamte Erfahrung stammt aus-
schließlich aus den Sinnesempfindungen, (b) Die Umbildung dieser
Eindrücke im Laufe der Erinnerung zu „Vor- / Stellungen“ sowie (c)
die verschiedene Verbindung, „Assoziation“, dieser Vorstellungen
zu „Gedanken“ (nach der alten „Assoziationspsychologie“). — Das
ist der Inbegriff des reinen, folgerichtigen Sensualismus und zugleich
das K e r n s t ü c k j e d e s E m p i r i s m u s .
2 .
D e r R e l a t i v i s m u s
Aus dem Sensualismus folgt notwendig der „Relativismus“. Da
nämlich die Erfahrung, aus der alle Vorstellungen nach sensualisti-
scher Behauptung stammen, durchaus wechselt, ist auch der Wahr-
heitsgehalt der Vorstellungen nur ein wechselnder, nur ein verhält-
nismäßiger, also ein „relativer“. Jeder Mensch wird nach der Ver-
schiedenheit seiner Erfahrungen verschiedene Vorstellungen und
Vorstellungsverbindungen bilden, daher zu verschiedenen Ansichten
gelangen: Alle Wahrheit ist nur „relativ“.
Z u s a t z ü b e r d e n P r a g m a t i s m u s
Als eine besondere Wendung der relativistischen Wahrheitslehre kann man den
„Pragmatismus“ betrachten. Er zieht den Wahrheitsbegriff insofern ins Biologische,
als er den Wahrheitswert der Erkenntnis von der p r a k t i s c h e n L e b e n s -
f ö r d e r u n g abhängig macht, die sich ergibt, wenn man jener Erkenntnis gemäß
handelt.
Freilich ist dieser Gedanke nicht neu und im Grunde von jeher dem Relativis-
mus eigen gewesen. Schon T h o m a s H o b b e s sagte, der Zweck der Philo-
sophie sei, daß wir die Wirkungen voraussehen und sie so zum Gebrauch im
Leben verwenden können. Für A u g u s t e C o m t e gehört zum Wesen der
Wissenschaft das „savoir pour prévoir“. Ähnlich später E r n s t M a c h , wel-
cher in der „Ökonomie“ das Wesen der Begriffsbildung sieht. „Wahr“ seien daher
jene Verbindungen von Erfahrungselementen zu Begriffen, welche den geringsten
Aufwand von Vorstellungen und von Denktätigkeiten erfordern. Dasselbe bei R i-
c h a r d A v e n a r i u s
1
.
Diese Erklärung des Wesens der Wahrheit, die das Denken als Werkzeug für
den Kampf ums Dasein betrachtet, hat in den Mittelpunkt gestellt der Amerikaner
W i l l i a m J a m e s in seinem Buche „Pragmatism“ (1907). Was ein Schrift-
1
Siehe darüber unten S. 48.