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die Gemeinschaften beziehen. Staat und Gesellschaft werden in den

kosmischen Zusammenhang einbezogen und auf solche Weise Gegen-

stand romantischen Denkens. Das führt im Gegensatz zur rationa-

listisch-ungeschichtlichen Aufklärung zu einer i r r a t i o n a l e n ,

u n m e c h a n i s c h e n u n d g e s c h i c h t l i c h e n Betrachtung

des Geisteslebens. Und von da aus weiter: zur Gründung neuer

Geisteswissenschaften (man denke nur an Germanistik und ver-

gleichende Sprachwissenschaft!); zu einem neuen Verständnis der

Geschichte, besonders des Mittelalters, das. von der Aufklärung

geschmäht wurde; zur geschichtlichen Auffassung des Rechtes / (Sa-

vigny) im Gegensatz zur abstrakt-naturrechtlichen Vertragslehre;

schließlich auch zu einer neuen Staats- und Wirtschaftslehre.

Die Romantik ist die erste große Gegenbewegung gegen Auf-

klärung, Humanismus und Renaissance. Sie drängt das antike

Bildungs- und Lebensideal zurück und sucht das christlich-germa-

nische neu zu gestalten. In ihr strebt der deutsche Geist wieder zu

seinem ursprünglichen Wesen, das er im Mittelalter ausgebildet

hatte, zurück, weshalb man die Romantik recht eigentlich als

N e u g o t i k bezeichnen muß.

Gewisse neueste Versuche, die Romantik als unklare Gefühlsschwär-

merei abzutun, richten sich in ihrer Oberflächlichkeit von selbst.

Roscher rechnete zu den Vertretern der romantischen Richtung in

der Staatswissenschaft: Adam Müller, Friedrich Gentz (geboren 1794 in

Breslau, gestorben 1832 in Wien) und Carl Ludwig von Haller (geboren

1768 in Bern, gestorben 1854 zu Solothurn; Hauptwerk: „Restauration

der Staatswissenschaft oder Theorie des natürlich-geselligen Zustandes“.

6 Bände, 1816—1834). Streng genommen bilden diese drei, die Roscher

als „romantische Schule“ zusammenstellte, keine theoretische, sondern

nur eine politische Einheit und auch das nur mit Einschränkungen. Be-

sonders ist Hallers „patrimoniale Staatstheorie“, die den mittelalterlichen

Staat als eine Summe privatrechtlicher Verträge auffaßte, durchaus

u n r o m a n t i s c h — ja im Grunde sogar individualistisch. Gentz wieder

war kein Theoretiker, sondern praktischer Staatsmann in Metternichi-

scher Art. — Von wahrhaft romantischen Voraussetzungen gingen da-

gegen Adam Müller, Baader, Novalis und Görres aus.

1.

A d a m M ü l l e r

Adam Müller (1779—1829), als Sohn eines Finanzbeamten in Berlin

geboren, studierte dort anfangs Theologie, später in Göttingen Rechts-

und Staatswissenschaften. 1805 trat er in Wien vom protestantischen

zum katholischen Glauben über. 1806—1809 lebte er in Dresden und

gab mit K l e i s t den „Phöbus“ heraus. 1809—1811 in Berlin, 1811 in

Wien, wo er mit Friedrich Schlegel, Zacharias Werner, Clemens Hofbauer

verkehrte; 1813 wurde er Landeskommissar und Schützenmajor in Tirol;