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ein kosmisches, ein religiöses Gepräge und auch die Allgemeingültig-
keit. Denn „der Mensch ist nicht zu denken außerhalb des Staates“.
Dieser Staatsbegriff ging philosophisch auf Fichte und Schelling zu-
rück, für seine Anwendung und seinen praktischen Inhalt aber war das
deutsche Mittelalter das Ideal mit seinem Lehensrecht und persönlichen,
beseelten (nicht kommerziellen) Gliederungen. Im englischen Staats-
wesen, das die Rezeption des rationalistischen römischen Rechtes nicht
mitgemacht hatte, glaubte Adam Müller jenen ständischen Geist noch
am meisten verwirklicht zu sehen. Er verehrte besonders auch den eng-
lichen Parlamentarier und Schriftsteller Edmund Burke (1729 bis 1797),
einen heftigen Gegner der Französischen Revolution, dessen Hauptwerk
Gentz ins Deutsche übertrug
1
.
Adam Müller bekämpfte mit zerschmetternder Wucht die Na-
turrechtstheorie und Adam Smiths individualistische Auffassung
von der Wirtschaft, diese „Lehre von der allmählichen, radikalen
Zersetzung, Auflösung und Dismembration des Staates
2
und der
Volkswirtschaft. Der römische und naturrechtliche Begriff des abso-
luten Privateigentums und Smiths / Begriff des rein privaten Ein-
kommens, „des Privatisieren aller Beschäftigungen" — an Stelle
der Familien- und Korporationsrechte — sind ihm wesensgleich und
beide gleich verhängnisvoll. Ebenso bekämpft er die Theorie des
Montesquieu von der Teilung der Gewalten. Besonders das Grund-
eigentum war ihm kein freies Privateigentum, sondern ein Amt
(feod).
b.
Die wirtschaftlichen Lehren
Adam Müller stellt der individualistischen, vom Eigennutz aus-
gehenden, abstrakt-isolierenden Betrachtung des Wirtschaftlebens
eine solche gegenüber, welche die Einheit aller Inhalte der Gesell-
schaft aufs strengste festhält und zugleich ihre g e s c h i c h t l i c h e
Bestimmtheit berücksichtigt. (Geschichtliches Verfahren.) Er spricht
von einem „Geheimnis der Gegenseitigkeit aller Verhältnisse des
Lebens“, und die Durchdringung aller Seiten der Gemeinschaft:
Staat, Wirtschaft, Sittlichkeit, Kunst, Religion war ihm die Voraus-
setzung alles sozialwissenschaftlichen Denkens. Hier eben bricht das
ureigen Romantische durch, das das Leben als Einheit faßt und alles
1
Edmund Burke: Betrachtungen über die französische Revolution,
3. Aufl., Braunschweig 1838 (deutsch von Friedrich Gentz).
2
Adam Müller: Die Elemente der Staatskunst II, a. a. O., S. 298 (Aus-
gabe Baxa, Bd I).