Table of Contents Table of Contents
Previous Page  614 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 614 / 9133 Next Page
Page Background

128

[109/110]

unstreitig einer der ersten Nationalökonomen aller Zeiten ge-

worden.“

1

/

Adam Müller wurde trotzdem der größte Volkswirt seiner Zeit.

Man hat diesem Satze widersprochen, aber nicht erkannt, daß

Adam Müller nicht mit gewöhnlichem Maße zu messen sei. Bei ihm

handelt es sich nicht darum, ob er seine Einsichten begrifflich zu

entwickeln vermochte (das gelang ihm nur sehr mangelhaft), son-

dern um eine neue Schau der Dinge. Erwägt man die befangene,

einfache Anschauungsweise Quesnays, die stilisierte hausväterliche

Klugheit Smiths, die scharfe und sachliche, aber über den Stand-

punkt des Einzelinteresses nicht hinausgehende Zergliederung Ri-

cardos — dann erscheint Adam Müllers Intuition in einem gött-

lichen Lichte. Auf diese Intuition kommt es bei ihm allein an, dar-

auf, daß er die Dinge in anderem Zusammenhang sah, daß er

e i n e n n e u e n S y s t e m g e d a n k e n j e n e m S m i t h s e n t -

g e g e n s e t z t e . Dies allein ist entscheidend, nicht aber der Um-

stand, daß seine Lehre als Begriffsgebäude wenig ausgebildet, daß

seine Einzeluntersuchung von Anfang an verschwommen und den

großen Grundgedanken oft kaum angemessen war. Trotz dieses

Mangels lag daher in Adam Müllers Volkswirtschaftslehre ein von

der späteren deutschen Wissenschaft ungehobener, ja verschollener

Schatz. Es ist leichter, Adam Müller mangelnde Begriffsschärfe vor-

zuwerfen, als ihn zu würdigen. Man muß ferner neben der Tiefe

der Eingebung die moralische Kraft ermessen, die nötig war, um

gegen Smiths weltbeherrschenden Individualismus aufzutreten,

wenn man ihm gerecht werden will. Bis heute wird Adam Müller

unterschätzt, der als Stilist unerreicht ist, als Kunstkritiker neben

den Brüdern Schlegel steht, der vielleicht als Charakter nicht voll-

kommen fest, doch als Mensch eine edelste Kulturblüte seiner Zeit,

als Staats- und Wirtschaftsforscher von unvergleichlicher Anschau-

ungskraft und fähig war, die innersten Schwingungen der gesell-

schaftlichen Seele zu erlauschen.

Es ist kaum zum allgemeinen Bewußtsein gekommen, daß fast

1

Wilhelm Roscher: Die romantische Schule der Nationalökonomie in

Deutschland, Tübinger Zeitschrift 1870, S. 91. (Roscher versteht Adam

Müller in entscheidenden Punkten nicht, am meisten würdigte ihn Hilde-

brand.)