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Staatsbegriff ablehnte, einen bündischen und ständischen Staat verlangte
und für Schutzzölle eintrat.
Die Romantik wirkte auch bei Otto von Bismarck nach, und zwar nicht
nur durch das Programm der alten konservativen Partei, das bekannt-
lich romantischen Quellen entstammte. Denn die Hauptpunkte der prak-
tischen Wirtschaftspolitik Bismarcks: Hochschätzung der Landwirtschaft,
Schutzzollpolitik, Sozialreform, gemeinnützige Gestaltung des Verkehrs-
wesens (Verstaatlichung der Eisenbahnen und so fort) entsprachen durch-
aus romantischem Denken. — Vorher wirkte von Radowitz als Berater
Friedrich Wilhelms IV. im romantischen Sinne
1
.
Die kulturphilosophischen Schriften von Paul de Lagarde (t 1891)
2
hielten das ganzheitliche Bild der Gesellschaft und Geschichte im Ge-
gensatze zum liberalen Denken der Zeit fest. — Über Lorenz von Stein
siehe unten Seite 193.
In den Gedankenkreis der deutschen Romantik gehören auch die
Engländer: Thomas Carlyle
2
, der gegen den utilitarischen Individualis-
mus den Vorrang des Geistes und s o z i a l e R e f o r m e n setzte, und
sein Schüler, der Maler John Ruskin (
1900)
4
, der für sittliche Auffas-
sung der Wirtschaft, Veredelung der Lebensführung und künstlerische
Handarbeit eintrat. Er übte große praktische Wirkung auf Kunstgewerbe
und Handarbeit g e g e n d i e M a s c h i n e in England aus. — Uber
Henry Charles Carey siehe unten Seite 159 ff.
Wenn die romantische Staats- und Wirtschaftslehre in der Folge
verfiel und fast in Vergessenheit geriet, so lag dies nur zum Teil an
der unvollkommenen begrifflichen Ausarbeitung ihrer Lehre.
Hauptsächlich lag es an der Ungunst der Zeitrichtung. Der indi-
vidualistische Gedanke und sein Paradoxon, der Marxismus, muß-
ten erst noch zum Siege gelangen, mußten sich erst ausleben und
der Menschheit ihr wahres Antlitz weisen, ehe eine so tiefgreifende
Gegenbewegung wie die Romantik Boden gewinnen konnte. In
diesem geschichtlichen Vorgange stehen wir Heutigen noch mitten
drinnen, und er lädt unserem Geschlechte die entscheidende Ver-
antwortung auf.
/
1
Josef Maria von Radowitz: Gespräche aus der Gegenwart über Staat
und Kirche (1846), 4. Aufl. 1851.
2
Paul de Lagarde: Deutsche Schriften, Gesamtausgabe, 5. Aufl. 1920.
3
Thomas Carlyle: Sartor resartus, the life and opinions of Herr
Teufelsdroeckh, 1838; Heroes and Hero worship, 1841 (deutsch 1901); So-
zialpolitische Schriften, deutsch Leipzig 1902.
4
John Ruskin: Unto this Last, 1862 (deutsch: Diesem Letzten, Jena
1902).