Table of Contents Table of Contents
Previous Page  6403 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 6403 / 9133 Next Page
Page Background

[279/280/281]

249

Daß der Mensch unholdischer, infernalischer Eingebungen fähig

sei, ist kein bloßes Wort. Wehe ihm, wenn er nicht die / Kraft

aufbringt, sie zu meistern. Welche finsteren Mächte Shakespeare

und Mozart meistern, beweist uns die Geister- und Höllenwelt in

ihren Werken. Die Gestalten Richard III., Caliban (im Sturm), Don

Juan, ferner Bruder Medardus (in Theodor Amadeus Hoffmanns

„Elixieren des Teufels“), der böse „Kleinzaches“ (Theodor Amadeus

Hoffmanns) sagen mehr, als man aussprechen kann.

Wer in der Geistesgeschichte und Staatengeschichte zu lesen ver-

steht, weiß, welche ungeheure Rolle das Unholdentum in ihr spielt.

Deutlich tritt es als Gegner des echten Schöpfertums auf, als zer-

störerisches und zersetzendes Gegengenie (in unserer Zeit: Marx,

Freud). Das Unholdentum zeigt sich aber auch in einem fortlaufen-

den, alltäglichen Aufstande der Gewöhnlichkeit gegen das Höhere;

vor allem jedoch in einem, ebenfalls stetigen Aufstande der Unter-

welt gegen das Gesunde und Bürgerliche, in jenem nämlich, welcher

mit den Mitteln der Bosheit, Tücke, Ränkespinnerei geführt wird

(Schillers Franz Moor, Wurm in „Kabale und Liebe“).

Ein allgemeiner Zug am Menschen, der die Finsterwelt in ihm

anzeigt, ist, daß er das Große, welches größer ist als er, schwer er-

tragen kann. Dauernde Verehrung und Demut vor dem Höheren

ist eine Leistung, zu der schon edlere Geisteskräfte nötig sind, derer

daher nur der geläuterte Mensch fähig ist. Die Jungfrau von Or-

leans, die tausend Wunder wirkte, wird schließlich aufgefordert,

zu beteuern, daß sie keine Hexe sei. Lohengrin wird von Elsa, die

er rettete, nach „Nam’ und Art“ gefragt und soll sich rechtfertigen

— so wenig kann der Mensch das Große ertragen.

Nicht nur die infernalische Gegenwelt bekämpft das Große,

auch die Gewöhnlichkeit und Bosheit befindet sich gleichsam in

einem ständigen Aufstande gegen alles, was größer ist als sie.

Wenn die herkömmliche Lehre in solchen Zügen des Menschen

nur Neid und „Geltungstrieb“ sieht und in ihnen gewissermaßen

etwas durchaus Verständliches findet, so können wir ihr darin /

nicht beipflichten. Es ist die Finsterwelt, die hier auch im ein-

fachen Menschen, nicht nur im Unholdentume großen Stils, im

Gegengenie, aufbricht. Die Lebensbeschreibungen aller großen

Männer wissen davon zu erzählen. Für die Geschichtsphilosophie

liegt hier eine der düstersten Erscheinungen vor. Es ist ersichtlich,